Lena sitzt lächelnd im Bürostuhl, spricht mit ihren Teamkollegen über Projekte und schlägt Lösungen vor. Lena ist kein Mensch, sondern ein interaktiver Roboter mit künstlicher Intelligenz (KI) – ein Roboter, der einem Menschen täuschend ähnlichsieht und sich menschenähnlich verhält. Nach Ansicht ihrer Entwickler ist die blonde Roboterfrau nach jahrelanger Arbeit bald so weit, Kollegen im Büro zu unterstützen. „Sie hat den Wortschatz erhöht, sprachlich dazugelernt und immer besser verstanden“, sagt Ruth Stock-Homburg laut einer dpa-Meldung. Die Wirtschaftsprofessorin von der Technischen Universität Darmstadt beschreibt das Ergebnis eines Projekts, das im Forschungslabor „Leap in Time Lab“ in Darmstadt durchgeführt wurde. Acht Wochen lang gab es eine Kollaboration von mehreren Gruppen mit dem Roboter in einer Büroumgebung: vier Teams mit dem androiden Roboter, zwei mit einer KI-Box und ein Team ohne Künstliche Intelligenz.
Zugewandte Robo-Kollegin
Fazit: Die Teams haben die Arbeit mit der Robo-Kollegin positiv wahrgenommen. „Am Anfang war es ein bisschen schwierig“, sagt Teammitglied Jil-Amy Leber. Dann habe Lena aber eigene Vorschläge geliefert, menschliche Antworten gegeben und Präsentationen vorgetragen. Andere Mitarbeitende beschrieben sie als sehr kommunikativ. Lena habe Fragen gestellt und man habe sie nicht einfach als Datenbank empfunden. Anders als eine einfache Computerbox richtet ein androider Roboter sein Gesicht in Richtung seines Gesprächspartners. In zwei Teams kam die entscheidende Idee von der KI. Bis Roboter wie Lena im Büroalltag eingesetzt werden, muss freilich noch viel Entwicklungsarbeit geleistet werden. Bislang arbeiten Roboter in der industriellen Fertigung, aber auch im Service, etwa in Krankenhäusern oder in der Pflege. Der Einsatz der Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK) hat in den vergangenen Jahren zunehmende Aufmerksamkeit erfahren. Die Normenlage ist definiert, zahlreiche Komponenten zur Umsetzung von MRK-Anlagen sind verfügbar und die Potenziale der Technologie weitreichend bekannt.
Für Unternehmen, die ihre Fertigungsabläufe automatisiert haben, kann die MRK die Chance bieten,
- ihre Mitarbeitenden in belastenden, monotonen und nicht ergonomischen Bewegungsabläufen intensiver zu unterstützen
- die Leistungsfähigkeit einer vom demografischen Wandel betroffenen Belegschaft zu erhalten
- Prozesse zu automatisieren sowie eine Verbesserung von Produktivität und Qualität zu erreichen
Dennoch sind MRK-Anwendungen, vor allem bei mittelständischen Unternehmen, noch nicht verbreitet. Berechnungen der International Federation of Robotics (IFR) zufolge waren im Jahr 2019 lediglich 18.000 von mehr als 373.000 installierten Industrierobotern (4,8 Prozent) kollaborative Leichtbauroboter (Quelle: IFR, 2020) [2]. Der Grund: Aktuell fehlen die Erfahrungswerte. Einerseits sind die sicherheitstechnischen Anforderungen für eine CE-Kennzeichnung aufwendig und die Gestaltung von rechtlich, technisch wie gestalterisch konformen Arbeitsplätzen erfordert unterschiedliche Expertise. Gleichzeitig schafft aber auch der zunehmende Fachkräftemangel im nichtakademischen Bereich einen Anreiz, sich mit neuen Automatisierungsmöglichkeiten auseinanderzusetzen.
Derzeit wird kollaborative Robotik oft aus ergonomischen Gründen eingesetzt [1] – mit dem Ziel, den Menschen vor mittel- und längerfristigen Schädigungen oder Beeinträchtigungen zu bewahren, indem Roboter ihn entlasten und beispielsweise das Heben schwerer Gegenstände oder das Ausführen stark repetitiver Aufgaben unterstützen. Roboter haben aber noch mehr Potenzial. Beispielsweise, wenn sie Werkzeugcharakter erhalten und von Beschäftigten entsprechend ihrer individuellen Bedarfe eingesetzt werden, um komplexere Aufgaben zu bearbeiten. Oder aber, wenn der Mensch in die Bedienung und Einrichtung eines Roboters involviert wird und so Kompetenzen im Umgang mit neuen Technologien erlernt. Das Projekt AQUIAS (Arbeitsqualität durch individuell angepasste Arbeitsteilung zwischen Servicerobotern und schwer-/nichtbehinderten Produktionsmitarbeitern) zur Unterstützung von inklusiver Arbeit durch MRI zeigt beispielsweise, wie Qualifizierung für Wartung und Instandhaltung Teil der Mensch-Roboter-Interaktion werden kann, angepasst an die Ausgangssituation und Bedarfe der jeweiligen Beschäftigten. Solche Projekte zeigen, was mit einer geschickt gestalteten MRI für den Menschen möglich ist.
Mitarbeitende frühzeitig einbinden
Für eine erfolgreiche MRK-Integration ist die Schulung und Weiterbildung der betroffenen Mitarbeitenden essenziell. Man darf nicht vergessen, dass der Einsatz einer MRK-Applikation neue Konzepte im Arbeits- und Produktionsprozess voraussetzt. Die Notwendigkeit der Qualifizierung ergibt sich aus der Fürsorgepflicht gegenüber allen Beschäftigten sowie der Intention, negativen Effekten der MRK-Integration vorzubeugen und die Chancen dieser Systeme für die Betroffenen erkennbar und nutzbar zu machen. Hierfür braucht es Verständnis für den Sinn und Zweck bei den Betroffenen sowie eine transparente Kommunikation. Da eine enge Zusammenarbeit mit einem Roboter oft auch Vorbehalte auslösen kann, empfiehlt es sich, die betroffenen Personengruppen frühzeitig einzubinden. Damit lässt sich die Akzeptanz steigern und Berührungsängste reduzieren.
Durch die Kollaboration von Mensch und Cobot ergeben sich bezüglich Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit folgende Änderungen:
- Arbeitsplatz, ergonomische Arbeitsplatzgestaltung
- Datenschutz, u. a. Gefahr der Leistungskontrolle
- Entgeltmodelle, Sicherung bei Ausfällen oder geringen Taktzeiten
- Tätigkeitsprofile, Auf- oder Abwertung der Tätigkeit
- Taktzeit, Abstimmung auf den Menschen u. a. im höheren Alter
Schulungen sollten einen Mehrwert für die Betroffenen haben. Dabei geht es um den Schutz vor berufsbedingten Gefahren, die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, die Optimierung der eigenen Fähigkeiten sowie die Förderung der Gesundheit. Wichtig sind konkrete Lernziele mit der Fragestellung: Welchen Mehrwert bietet die Veranstaltung für die Personen? Eine Sicherheitsunterweisung kann folgende Ziele haben:
- Die Menschen kennen die Unterschiede zwischen klassischen Industrierobotern und MRK-Systemen.
- Sie wissen um die Anforderungen an die MRK-Systeme.
- Sie sind befähigt, Gefahren zu erkennen und situationsgerecht zu bewältigen.
Gelingt dies, können Vorbehalte, wie zum Beispiel die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, abgebaut werden. Hier hat die Forschung gezeigt, wie wichtig gerade soziale Faktoren für die Implementierung von Mensch-Roboter-Interaktionen sind. So ist es förderlich, wenn die Mitarbeitenden Handlungs- und Entscheidungsspielräume bei der Arbeitsgestaltung haben und den Umgang mit dem Cobot leicht erlernen können [3].
Literaturhinweise zur Kollaboration:
[1] Leitfaden für den ortsflexiblen Einsatz von kollaborativen Robotern. Herausgeber: Fraunhofer-Institut IGCV und VDMA Bayern. 2022.
[2] siehe dazu: Leitfaden oben
[3] Tausch, Alina, 2021. Aufgabenallokation in der Mensch-Roboter-Interaktion – Eine psychologische Betrachtung von Aufgabenzuteilungs-Prozessen zur Gestaltung menschengerechter Zusammenarbeit von Mensch und Roboter. 1. Auflage. Dortmund: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. baua: Bericht.
Kollaborierende Roboter
Kollaborierende Industrieroboter (Cobots) sind komplexe Maschinen, die mit Personen zusammenarbeiten und diese entlasten. Beispiel: Ein Roboter hebt und positioniert ein schweres Werkstück, während eine Person leichte Eisenhaken anschweißt. Dabei besteht zwischen der Person und verschiedenen Roboterelementen – beispielsweise Roboterarm, Werkzeug – eine große räumliche Nähe. Die überarbeitete Norm EN ISO 10218, Teile 1 und 2, sowie die 2010 begonnene Spezifikation ISO/TS 15066 definieren die sicherheitstechnischen Anforderungen für das Anwendungsgebiet „kollaborierende Roboter“ (Quelle: IFA).
Autorin:
Christine Speckner
Freie Journalistin