Konzeptioneller Brandschutz ist für viele Betriebe und Unternehmen eine Aufgabe und Verpflichtung, die in der Praxis immer komplexer wird. Die Zahl der Vorschriften und technischen Regeln ist groß und die Vorgaben sind zudem in mehreren Rechtsgebieten angesiedelt, vom Baurecht über das Arbeitsschutzrecht bis zum berufsgenossenschaftlichen Regelwerk. Den Überblick hier zu behalten, ist nicht ganz einfach.
Feuer bleibt die teuerste aller Gefahren für Unternehmen
Dazu kommt, dass Unternehmen derzeit jede Menge Krisen und Schwierigkeiten zu bewältigen haben. Doch den betrieblichen Brandschutz auf allen Ebenen – vorbeugend, abwehrend, organisatorisch – in den Hintergrund zu schieben, könnte sich als fatal erweisen. Die Allianz-Versicherung warnte erst vor einigen Wochen davor, vor allem auf Hackerangriffe, Lieferengpässe und Gaspreise zu fokussieren, da Feuer nach wie vor die größte und teuerste aller Gefahren darstellt.
Ein neues Buch mit dem Titel “Konzeptioneller Brandschutz” will als Wegweiser dienen. Das mehr als 400 Seiten umfassende Werk zieht einen roten Faden durch die Vielzahl von Vorschriften und zeigt, wie Brandschutzmaßnahmen risikogerecht und sinnvoll zu einem tragfähigen Konzept verbunden werden. Das Buch ist in fünf Abschnitte gegliedert:
- Die Grundlagen der Brand- und Rauchausbreitung
- Der bauliche Brandschutz für Standard- und Sonderbauten
- Die Branderkennung und Brandmeldung
- Stationäre und mobile Löschanlagen
- Der organisatorische Brandschutz und die Löschwasserversorgung
Von den technisch-wissenschaftlichen Grundlagen zur Praxis
Die Inhalte des Werks basieren auf einer Vorlesungsreihe. Die Autoren zeigen die grundsätzliche Herangehensweise zur Erstellung eines Brandschutzkonzepts, wie etwa die Einstufung eines Gebäudes in eine Gebäudeklasse oder die Prüfung der Sonderbautatbestände. Sie erläutern dann, wie die wesentlichen materiellen Anforderungen formal korrekt auf ein Projekt angewandt werden. Dabei geht es z. B. um die Feuerwiderstandsdauer raumabschließender Bauteile, das Planen von Rettungswegen über Flure, Treppen und Treppenräume und viele andere Aspekte. Die anlagentechnischen Kapitel gehen ausführlich auf die Möglichkeiten sowie Anwendungen von Brandmelde- und Löschanlagen ein.
Bei einem solchen Grundlagen- und Nachschlagewerk zum Brandschutz dürfen auch die natur- und ingenieurwissenschaftlichen Hintergründe nicht fehlen. Sie werden z. T. mit physikalischen Formeln, aber dennoch verständlich und immer wieder mit Hinweisen für die Praxis erläutert. Wer in seinem Unternehmen für den Brandschutz (mit)verantwortlich ist, dürfte – ob als Betriebsleiter, Führungskraft, Fachkraft für Arbeitssicherheit oder Brandschutzbeauftragter – auch von dem Kapitel zum organisatorischen Brandschutz profitieren.
Interview mit den Autoren des Buchs “Konzeptioneller Brandschutz”
Die Redaktion des Sicherheitsingenieur hat sich mit den beiden Autoren des Werks, Prof. Dr. Roland Goertz und M. Sc. Fabian Ladzinski, unterhalten und einige Fragen gestellt.
Herr Prof. Goertz und Herr Ladzinski, Sie beginnen Ihr Buch mit dem Satz „Angst ist gerade im Brandschutz ein schlechter Ratgeber“. Damit kann kaum gemeint sein, dass wir ein Feuer nicht mehr fürchten sollten, oder?
Natürlich. Das Feuer und seine Auswirkungen auf Menschen und bauliche Anlagen muss man ernst nehmen. Allerdings bei der Frage, wie viel Brandschutz denn nun wirklich notwendig ist, um das Risiko in einen akzeptablen Bereich zu bringen, lässt sich in der Praxis häufig beobachten, dass Sicherheit scheinbar doch als eine nach oben offene Spirale aufgefasst und teilweise mit der Forderung nach Brandschutz maßlos übertrieben wird. Der dafür vermutlich ursächlichen Angst, die ein schlechter Ratgeber ist, lässt sich nur mit Wissen begegnen.
Der Buchtitel lautet „Konzeptioneller Brandschutz“. Wer muss bzw. darf denn überhaupt ein Brandschutzkonzept erstellen und wem muss er dieses Konzept vorlegen?
Ein Brandschutzkonzept ist eine besondere Form des Brandschutznachweises. Jedes Gebäude benötigt einen Brandschutznachweis, in dem ein Abgleich zwischen den bauordnungsrechtlichen bestimmten materiellen Anforderungen an den Brandschutz und den geplanten Maßnahmen stattfindet. Bei „normalen“ Gebäuden reicht meist ein tabellarischer Abgleich zwischen den Planungen sowie den Vorgaben, während bei Sonderbauten immer, bei Gebäuden der Gebäudeklasse 5 oft, ein Brandschutzkonzept benötigt wird. Brandschutzkonzepte werden von Fachplanerinnen/Fachplanern oder Brandschutzsachverständigen erstellt und dienen bei Neubauten sowie Umnutzungen dem Nachweis eines ausreichenden Brandschutzes für die Genehmigungsbehörde.
An wen richtet sich das Werk oder – im Hinblick auf unsere Leserschaft – anders gefragt, inwiefern hängen betrieblicher Brandschutz und Arbeitsschutz zusammen?
Das Werk umfasst ja nicht nur den bauordnungsrechtlichen Brandschutz nach Musterbauordnung und den Muster-Sonderbauvorschriften, es schließt auch wesentliche Inhalte der Branddynamik sowie des anlagentechnischen Brandschutzes ein. Insofern kann es für die Planung und Prüfung des Brandschutzes, als Lehr- und Nachschlagewerk ebenso wie z. B. für spezielle Fragen des vorbeugenden Brandschutzes bei der Brandursachenermittlung und allgemein bei Fragen zur Festlegung von Brandschutzmaßnahmen genutzt werden.
Das bestehende Spannungsfeld zwischen Bundes-Arbeitsschutz und Landes-Brandschutz ist sicher ein besonderes Thema. Beide Rechtsgebiete haben Einfluss auf bauliche Anlagen und ihre Sicherheit. Letztlich lassen sich die Anforderungen nur dann harmonisch gut zusammenführen, wenn man beide Anforderungen gut kennt und beherrscht. Hier will unser Werk auch den Arbeitsschützern die Brandschutzsichtweise näherbringen.
Was sind nach Ihren Erfahrungen typische Schwachstellen, Versäumnisse oder Mängel in den Brandschutzkonzepten von Betrieben und Unternehmen?
Gerade bei Sonderbauten kommt es vor, dass in Brandschutzkonzepten materielle Anforderungen verschiedener Sonderbauvorschriften vermischt werden. Das führt häufig zu wenig zufriedenstellenden und inhomogenen Lösungen. Zudem ist auffällig, dass bestimmte Formulierungen, gerade in Sonderbauvorschriften, nur verständlich werden, wenn man die Begründung der Muster-Vorschrift gelesen hat.
Generell sollte aus betrieblicher Sicht noch viel stärker differenziert werden, dass für eine Baugenehmigung, also für die Erfüllung der bauordnungsrechtlichen Ziele, häufig schon vergleichsweise wenig Brandschutz ausreicht, dadurch aber die betrieblichen Erfordernisse noch lange nicht ausreichend berücksichtigt sind. Hier ist ein neuer Blick aus dem Betriebskontinuitätsmanagement notwendig. Was muss getan werden und wie muss Brandschutz aussehen, damit nach einem Brand der Betrieb nicht unter eine kritische Schwelle der Betriebsfähigkeit sinkt, damit er möglichst schnell wieder seine volle Betriebsfähigkeit zurückerlangt?
Im Arbeits- und Umweltschutz gibt es viele Formen eines freiwilligen Engagements wie Zertifizierungen, Audits, Selbstverpflichtungen, Kampagnen, betriebliche Sicherheitstage usw. Was empfehlen Sie in Sachen Brandschutz, wenn ein Unternehmen über die unmittelbar bindenden Vorschriften hinaus in Sachen Brandprävention aktiv werden möchte?
Der Brandschutz sollte aus der Blickrichtung des Betriebskontinuitätsmanagements heraus betrachtet und dort mit integriert werden. Nur so wird aus dem nach außen gerichteten, öffentlich-rechtlichen Brandschutz, der die Allgemeinheit schützen soll, ein sinnvolles Gesamtkonzept, das hilft, den Betrieb nach einem Brand aufrechtzuerhalten. Zum Beispiel muss gut geplant werden, welche Betriebseinrichtungen auf welche Brandabschnitte aufgeteilt werden, um für den Schadensfall Redundanzen zu besitzen. Auch die Rauchabschnitte unter der Decke korrespondieren oft nicht mit den betrieblichen Abläufen am Boden, sodass im Brandfall mehrere Rauchabschnitte betroffen sind und größere Schäden entstehen als nötig.
Als häufigste Brandursache für Deutschland wird in Statistiken oft Elektrizität genannt. Müssten hier Vorschriften nachgebessert werden, bedarf es mehr Aufklärung oder wo sehen Sie Ansatzpunkte für die Prävention?
Vorschriften haben wir sicher genug. Es scheint nur so zu sein, dass viel häufiger mit Augenmaß an die Planung herangegangen werden muss, um spezifische, risikoangepasste Anforderungen zu stellen. Im Grunde scheint es so, als würden Brandschutzmaßnahmen viel zu häufig pauschal nach Vorschrift festgelegt, obwohl die bauordnungsrechtlichen und arbeitsstättenrechtlichen Regelungen alle Instrumente hergeben, um individuelle Anforderungen stellen zu können.
Halten Sie es für wünschenswert oder erforderlich, für Deutschland eine einheitliche und umfassende Brandstatistik aufzubauen?
Natürlich wäre eine einheitliche Brandstatistik sinnvoll, aber alleine die Statistik hilft nicht viel. Es müssen viel mehr konkrete Lehren aus den stattgefundenen Bränden gezogen werden. Nur dann können wir beurteilen, ob die konzeptionellen Maßnahmen wirkungsvoll und angemessen sind und in der Praxis funktionieren. Alleine aus einer Statistik wäre so etwas schwer abzuleiten.
Konzeptioneller Brandschutz
Roland Goertz und Fabian Ladzinski
Erich Schmidt Verlag, 1. Auflage, 2022
472 Seiten, mehr als 160 farbige Abbildungen, fester Einband
59,90 Euro
Die Autoren:
Univ.-Prof. Dipl.-Chem. Dr. rer. nat. Roland Goertz: Nach dem Chemie-Studium Referendariat und 2. Staatsexamen für den höheren feuerwehrtechnischen Dienst, anschließend stellv. Leiter und Leiter des Amtes für Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz der Landeshauptstadt Erfurt, Leiter der Branddirektion Karlsruhe und seit 2012 Lehrstuhl für Chemische Sicherheit und Abwehrenden Brandschutz, Direktor des Feuerwehrwissenschaftlichen Instituts der Bergischen Universität Wuppertal. Sachverständiger für Brandschutz und Brand- und Explosionsursachenermittlung.
Fabian Ladzinski, M.Sc.: Bachelor- und Masterstudium der Sicherheitstechnik, unter anderem mit dem Schwerpunkt Bevölkerungs- und Brandschutz, an der Bergischen Universität in Wuppertal mit einer Abschlussarbeit über die Möglichkeiten einer Kosten- und Nutzenanalyse von brandschutztechnischen Maßnahmen. Anschließend Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Chemische Sicherheit und Abwehrenden Brandschutz der Bergischen Universität Wuppertal.