Wenn der Zeitdruck einen in die Enge treibt oder sich im Büro ein Sturm zusammenbraut, fühlt sich das schlecht an. Kommen solche Situationen regelmäßig vor, kann es krank machen. Alle Branchen kennen Situationen, die einen emotional oder psychisch belasten. Manche sind sogar typisch und deshalb kann man auch etwas dagegen unternehmen.
Karin B. arbeitet im Kundenservice eines großen Unternehmens. Sie nimmt Reklamationen am Telefon an. Das ist nicht immer angenehm. Manche Kunden sind unfreundlich, verärgert oder aggressiv. Trotzdem muss sie ruhig, sachlich und freundlich bleiben. Mit einem Lächeln auf den Lippen versucht sie eine positive Atmosphäre zu erzeugen und geduldig weiterzuhelfen. Doch wenn sie selbst Sorgen wegen ihrer pflegebedürftigen Mutter plagen, fällt ihr das sehr schwer.
Ulrich E. hat sich mit den Jahren ein dickes Fell zugelegt. Er ist Busfahrer in Köln und kennt seine Fahrgäste. Nervig ist die Fahrerei vor allem morgens und zum Feierabend hin, wenn die Straßen voll sind und alle zur Arbeit oder in die Schule wollen. Im Bus wird dann geschoben und geschubst, beim Ein- und Ausstieg gedrängelt. Auch nachts fährt Ulrich E. nicht gerne, denn dann sind die Fahrgäste nicht nur fröhlich ausgelassen, sondern oft auch angetrunken. Doch sein schlimmstes Erlebnis war im vergangenen Jahr, als ihm ein Kind vor den Bus gelaufen ist. Er konnte nicht mehr rechtzeitig bremsen. Das Kind starb noch an der Unfallstelle.
Nicht immer sind psychische Belastungen so heftig und offensichtlich, wie in den beiden Beispielen. Schwieriger zu erkennen sind die Belastungen im Hintergrund, über die zudem selten jemand spricht.
Die Gefahr sich zu viel zuzumuten
Psychische Belastungen sind so wie körperliche Belastungen generell kein Problem. Zum Problem werden Belastungen erst dann, wenn sie zu stark sind, zu lange andauern und wenn sie nicht ausreichend durch Entspannung und Regeneration ausgeglichen werden.
Zu den psychischen Belastungen zählen unter anderem:
- Konflikte,
- fehlendes Mitspracherecht,
- Zeitdruck,
- Störungen oder Unterbrechungen bei der Arbeit,
- Verantwortung,
- Schichtdienst,
- traumatische Erlebnisse wie z. B. ein Unfall oder ein Überfall,
- emotionale Belastungen aus dem privaten Bereich wie Scheidung, Tod eines Angehörigen oder finanzielle Sorgen,
- aber auch äußere Einflüsse wie Hitze oder Lärm können psychisch belasten.
Wenn sich jemand überlastet fühlt und darauf körperlich oder psychisch reagiert, spricht man üblicherweise von Stress. Reaktionen auf Stress können Verspannungen und Rückenschmerzen, erhöhter Blutdruck, Gereiztheit oder Konzentrationsprobleme sein. Wer durch Stress überfordert ist, wird häufiger körperlich krank, leidet unter Angstattacken oder Depressionen.
Gerade Menschen, denen es eigentlich gut gehen könnte, entwickeln vermehrt Ängste, Depressionen oder Süchte. Grund dafür ist oft eine Selbstüberforderung. So kann es sein, dass Mitarbeiter mit der Arbeit und der Atmosphäre im Betrieb zwar zufrieden sind, aber trotzdem von der Arbeit krank werden. Das ist zum Beispiel bei Lehrern, in der IT-Branche oder bei Architekten so. Diese Berufsgruppen haben hohe Erwartungen an sich selbst und sind mit Herzblut bei der Arbeit. Auftretende Warnsignale des Körpers werden ignoriert. Termine und Fristen müssen eingehalten werden und so dauert der Arbeitstag dann 12 bis 14 Stunden. Ein gesundes Verhältnis zwischen Anspannung und Druck auf der einen Seite und Entspannung und Regeneration auf der anderen ist nicht mehr möglich. Sich zu viel zuzumuten spielt häufig auch eine Rolle, wenn Angehörige zu pflegen sind.
Über Sorgen spricht man nicht gern
Paul M. arbeitet als Kommissionierer seit ein paar Wochen mit Headset, also mit einem Kopfhörer und Mikrofon. Eigentlich eine gute Sache, da er jetzt beide Hände frei hat. Doch er kann sich nicht an das technische Gerät auf seinem Kopf gewöhnen. Es drückt und rutscht häufig. Das ist ganz schön stressig. Paul M. konnte sich sein Headset nicht aussuchen, er hat es von seinem Arbeitgeber eines Tages einfach in die Hand gedrückt bekommen. Doch beklagen will er sich nicht, denn er befürchtet, dass sein Chef ihn missverstehen könnte.
Über emotionale oder psychische Themen spricht man nicht gern. Und schon gar nicht bei der Arbeit mit Kollegen oder Vorgesetzten. Doch dieses Schweigen führt dazu, dass schwierige Themen nicht angesprochen werden. Und weil das so ist, hat auch kaum jemand Erfahrung, angemessen damit umzugehen oder gar Lösungen erarbeiten zu können.
In dieser Hinsicht war und ist es im kleinen Familienbetrieb oft besser. Denn dort kennt man die Mitarbeiter lange und gut. Man kennt die Freuden und Sorgen und spricht im Idealfall auch darüber. Schwierig können in der familiären Umgebung allerdings die Beziehungen untereinander sein. Denn da kann es sein, dass man beruflichen Ärger in den Feierabend mitnimmt, weil eine klare Trennung von Beruf und Familie nicht so einfach möglich ist. Und das kann dazu führen, dass die Beziehungsebene zur psychischen Belastung wird.
Wie wirkt sich ein Zuviel an psychischer Belastung aus?
Eine erste Reaktion auf starke psychische Belastung ist häufig das Gefühl von Stress. Und ein Zuviel an Stress löst körperliche Reaktionen aus, wie Nervosität, erhöhten Pulsschlag, hohen Blutdruck, Schwächung des Immunsystems oder Verspannungen.
Wenn der Rücken weh tut, können Stress, Sorgen oder Konflikte dafür verantwortlich sein. Denn nicht nur körperliche Anstrengungen oder mangelnde Bewegung stressen den Rücken. Er reagiert auch mit Schmerzen, wenn man sich nicht wohl in seiner Haut fühlt. Doch nur selten bringt man den Schmerz im Rücken mit der Psyche in Verbindung.
Wenn man unter Stress oder Zeitdruck leidet, einen Sorgen oder Ängste plagen, würde man am liebsten davonlaufen. Ein Fluchtinstinkt aus der Urzeit. Für die mögliche Flucht schärfen sich die Sinne, Herzfrequenz und Blutdruck steigen an und Hormone werden ausgeschüttet. Doch in der modernen Arbeitswelt bleibt die Flucht aus. Die Folge davon: Der Organismus kann die Hormone nicht loswerden. Durch die überschüssige Energie verspannen sich die Muskeln. Verspannte Muskeln führen dazu, dass wir uns nur ungern bewegen, vielleicht die Schultern hochziehen, den Rücken schonen. Und so werden aus den Verspannungen Rückenschmerzen. Auf Dauer kann es zu einer Fehlhaltung kommen, die den Körper schädigt.
Bei anderen nehmen Infektionskrankheiten wie etwa Erkältungen zu, da bei Stress das Immunsystem nicht ausreichend schützt. Oder es treten Kopfschmerzen, Schlafstörungen, Schwindel oder ein Tinnitus auf. Wissenschaftler untersuchen zurzeit, ob Stress dick macht, da man schneller und deshalb mehr isst und zu viel vom Stresshormon Cortisol ausgeschüttet wird.
Wenn die Psyche leidet, leidet also auch der Körper. Deshalb sollte man bei körperlichem Unwohlsein auch einmal überlegen, wie es einem psychisch geht.
Die Verantwortung des Arbeitgebers
Egal ob die Arbeit Stress erzeugt oder ob der Arbeitsplatz ein höheres Risiko für eine psychische Gefährdung hat: Der Arbeitgeber muss sich darum kümmern. Im Rahmen einer Gefährdungsanalyse lassen sich Stressquellen ausfindig machen. Außerdem sollten Führungskräfte im Unternehmen über Ursachen und Folgen von psychischen Belastungen informiert und fortgebildet werden. Hier lohnt es sich, fachliche Kompetenz wie zum Beispiel einen Psychologen ins Haus zu holen.
Wenn es stressig und nervig wird, sollte man seine Gefühle und Reaktionen darauf nicht unter den Teppich kehren. Besser ist es, spätestens dann, etwas zu verändern. Noch besser ist es allerdings, negativen psychischen Belastungen frühzeitig entgegenzuwirken.
So kann man als Führungskraft emotionaler Überforderung von Mitarbeitern entgegenwirken:
- Sich zu den eigenen Gefühlen, Ängsten und Wertvorstellungen bekennen.
- Mit einem Beschäftigten, der emotional belastet wirkt, ein persönliches Gespräch führen.
- Belastende Situationen, die immer wieder vorkommen – wie etwa Beschwerden –, im Team besprechen und den Umgang damit üben.
- Prüfen, ob die emotionale Überforderung mit mangelnder Arbeitsorganisation zusammenhängt.
- Kurze Pausen häufig und fest in den Arbeitstag einplanen und kontrollieren, dass sie auch eingehalten werden.
- Anerkennung und Wertschätzung gegenüber den Mitarbeitern in Ruhe und angemessen ausdrücken.
- Regelmäßig einen Austausch unter Kollegen – auch in informeller Atmosphäre – ermöglichen, zum Beispiel in Form eines gemeinsamen Frühstücks.
Bettina Brucker
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