Am 16. März 2022 wurde der erste Referentenentwurf zur neuen Gefahrstoffverordnung auf der Internetseite des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) veröffentlicht. Basierend auf den Stellungnahmen unterschiedlicher Verbände und Organisationen wurde am 3. März 2023 ein aktualisierter Referentenentwurf veröffentlicht. Bis zur voraussichtlichen Inkraftsetzung sind noch weitere Stationen im Gesetzgebungsverfahren zu durchlaufen. Weitere Informationen dazu finden sich auf der Internetseite des BMAS (www.bmas.de).
Fokus: Krebserzeugende Stoffe
Das Hauptthema bei der Novellierung der Gefahrstoffverordnung ist die Aktualisierung der Regelungen für krebserzeugende Gefahrstoffe.
Dazu ist es wichtig zu verstehen, was in diesem Zusammenhang mit „krebserzeugende Gefahrstoffe“ genau gemeint ist. Denn: Es sind hier nicht alle krebserzeugenden Stoffe und Gemische gemeint. Krebserzeugende Stoffe und Gemische sind entsprechend eingestuft und gekennzeichnet (siehe Tabelle 1).
Die Novellierung der Gefahrstoffverordnung bezieht sich aber nur auf die krebserzeugenden Gefahrstoffe der Kategorien 1A oder 1B, also die Stoffe, die mit H350 oder H350i gekennzeichnet sind. Stoffe der Kategorie 2, gekennzeichnet mit H351, wie etwa Dichlormethan, Tetrahydrofuran etc., sind nicht betroffen.
Schutzmaßnahmen
Schon jetzt gibt es in der aktuell gültigen Gefahrstoffverordnung den § 10, der „Besondere Schutzmaßnahmen bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden, keimzellmutagenen und reproduktionstoxischen Gefahrstoffen der Kategorie 1A und 1B“ beschreibt (Tabelle 2).
Wegfall Verschlussregelung
Aus Sicht der chemischen Industrie ist positiv zu bewerten, dass die sogenannte Verschlussregelung in der Novellierung für die folgenden Einstufungen entfallen wird (siehe auch Tabelle 3):
- spezifisch zielorgantoxisch Kategorie 1
- krebserzeugend Kategorie 1A oder 1B
- keimzellmutagen Kat. 1A oder 1B
Bei der Verschlussregelung ging es nie um Schutzmaßnahmen bezogen auf den Arbeitsschutz: Stattdessen geht es darum, den Missbrauch von Stoffen und Gemischen zu vermeiden, etwa in Verbindung mit terroristischen Anschlägen: Dieser Missbrauch macht aber nur Sinn für Stoffe und Gemische, die eine sofortige und erhebliche Gesundheitsschädigung mit sich bringen. Als Beispiel ist hier die „akute Toxizität der Kategorien 1–3“ zu nennen, erkennbar an der Kennzeichnung mit dem Piktogramm GHS06 (Totenkopf mit gekreuzten Knochen).
Später einsetzende Gesundheitsschädigungen wie beispielsweise die Zielorgantoxizität oder eine krebserzeugende oder keimzellmutagene Wirkung sind hier nicht relevant.
Novellierung der Gefahrstoffverordnung und Neues aus dem AGS
Zudem ist eine „besondere“ Unterweisung nicht mehr für reproduktionstoxische Stoffe und Gemische der Kategorien 1A oder 1B, sondern nur noch für atemwegssensibilisierende Stoffe notwendig. Gleichzeitig wurde auch eine Umbenennung in „entsprechend tätigkeitsbezogen“ durchgeführt. Die „entsprechend tätigkeitsbezogene“ Unterweisungspflicht für reproduktionstoxische Stoffe und Gemische der Kategorien 1A oder 1B ist aber nicht entfallen, sondern wurde nur in § 10 verschoben (Tabelle 4).
Einhaltung von Grenzwerten
Ein weiteres wichtiges Thema für die chemische Industrie ist die Verpflichtung, Grenzwerte einzuhalten: Neu im aktualisierten Referentenentwurf vom 3. März 2023 ist der Hinweis in § 7 Absatz 8, dass der Arbeitgeber neben der schon bisher genannten Einhaltung der (deutschen) Arbeitsplatzgrenzwerte auch die Einhaltung der Europäischen Grenzwerte der EU-Richtlinie 2004/37/EG sicherstellen muss (Tabelle 5).
Hier ergab sich vom ersten Referentenentwurf auf den aktualisierten Referentenentwurf vom eine Textänderung: Im ersten Referentenentwurf wurde noch die Einhaltung der Akzeptanzkonzentration aus der TRGS 910 „Risikobezogenes Maßnahmenkonzept für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen“ gefordert (siehe Tabelle 5).
Es war auch bisher schon so, dass die Grenzwerte der Europäischen Richtlinie 2004/37/EG eingehalten werden mussten: Dazu wurden diese europäischen Grenzwerte für Deutschland in eine TRGS übernommen. Diese Vorgehensweise ist in der aktuell gültigen Gefahrstoffverordnung in § 7 Absatz 11 beschrieben und findet sich im Referentenentwurf in § 20 Absatz 3.
Mitteilungspflicht an Behörde
Nach § 10 wird im Referentenentwurf ein neuer Paragraf 10a eingefügt:
„§ 10a – Besondere Aufzeichnungs‑, Mitteilungs- und Unterrichtungspflichten bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden, keimzellmutagenen oder reproduktionstoxischen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B“
Er fasst alle Aufzeichnungs- und Unterrichtungspflichten zu Tätigkeiten mit krebserzeugenden, keimzellmutagenen oder reproduktionstoxischen Gefahrstoffen der Kategorie 1A oder 1B zusammen.
Von besonderer Relevanz für die chemische Industrie dürfte die neue Mitteilungspflicht an die Behörde bei den in Tabelle 6 genannten Grenzwertüberschreitungen sein. Aus Sicht der chemischen Industrie ist positiv zu bewerten, dass die Mitteilungspflicht für reproduktionstoxische Gefahrstoffe der Kategorie 1A oder 1B vom ersten auf den aktualisierten Referentenentwurf wieder gestrichen wurde. Das passt zur Aussage im Referentenentwurf, dass der „Schwerpunkt der Änderung der Gefahrstoffverordnung die Verbesserung der Prävention arbeitsbedingter Krebserkrankungen ist“ und sich damit nur auf die Einstufungen „krebserzeugend oder keimzellmutagen, Kategorie 1A oder 1B“ bezieht.
Die Textänderung von „Toleranzkonzentration“ in „Bereich hohen Risikos“ ergibt sich durch die oben näher beschriebene Forderung in § 7 Absatz 8, dass im aktualisierten Referentenentwurf nur noch die „Einhaltung der Grenzwerte der Richtlinie 2004/37/EG“ gefordert wird und nicht mehr die „Einhaltung der Akzeptanzkonzentration“ aus dem Risikokonzept für krebserzeugende Gefahrstoffe. Trotzdem werden aber bei Überschreitung der Toleranzkonzentration (entspricht „Tätigkeiten im Bereich hohen Risikos“) besondere Schutzmaßnahmen notwendig, wie beispielsweise die Mitteilungspflicht an die Behörde.
Erstellung des Maßnahmenplans
Die Forderung bezüglich der Erstellung des Maßnahmenplans war auch schon in der aktuell gültigen Gefahrstoffverordnung zu finden. Im aktualisierten Referentenentwurf vom 3. März 2023 findet sich der Maßnahmenplan nicht mehr in § 10 Absatz 6, sondern in Absatz 5 zusammen mit einer Konkretisierung, welche Angaben der Maßnahmenplan enthalten muss (Tabelle 7).
Wichtig ist im Zusammenhang mit der Erstellung des Maßnahmenplans die Ergänzungen im aktualisierten Referentenentwurf, dass die Erstellung des Maßnahmenplans unverzüglich stattzufinden hat.
Die Textänderung von „Akzeptanzkonzentration“ in „Bereich niedrigen Risikos“ ergibt sich durch die oben näher beschriebene Forderung in § 7 Absatz 8, dass im aktualisierten Referentenentwurf nur noch die „Einhaltung der Grenzwerte der Richtlinie 2004/37/EG“ gefordert wird und nicht mehr die „Einhaltung der Akzeptanzkonzentration“ aus dem Risikokonzept für krebserzeugende Gefahrstoffe. Trotzdem werden aber bei Überschreitung der Akzeptanzkonzentration (entspricht „Tätigkeiten im Bereich mittleren Risikos“) besondere Schutzmaßnahmen notwendig, wie beispielsweise die Erstellung eines Maßnahmenplans.
Expositionsverzeichnis auch für reproduktionstoxische Stoffe
Im Jahr 2022 wurde die Krebsrichtlinie (EU-Richtlinie 2004/37/EG: CMD) um die reproduktionstoxische Stoffe erweitert (CMRD). In der Richtlinie (EU) 2022/431 wurde für reproduktionstoxischen Gefahrstoffe der Kategorie 1A oder 1B festgelegt, das Verzeichnis fünf Jahre nach Ende der Exposition aufzubewahren. Für krebserzeugende oder keimzellmutagene Gefahrstoffe der Kategorie 1A oder 1B gilt bereits jetzt schon, dass das Verzeichnis 40 Jahre nach Ende der Exposition aufzubewahren ist (Tabelle 8).
Download-Links:
- BMAS: Stationen im Gesetzgebungsverfahren: https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/vom-entwurf-zum-gesetz.html
- Gefahrstoffverordnung, aktuell gültige Version vom 21.07.2021: https://www.baua.de/DE/Themen/Chemikalien-Biostoffe/Gefahrstoffe/Taetigkeiten-mit-Gefahrstoffen/Gefahrstoffverordnung.html
- Gefahrstoffverordnung: aktualisierter Referentenentwurf vom 03.03.2023: https://www.bmas.de/DE/Service/Gesetze-und-Gesetzesvorhaben/verordnung-zur-aenderung-der-gefahrstoffverordnung-und-anderer.html
- Richtlinie 2004/37/EG (Krebs-Richtlinie – inzwischen CMRD) – konsolidierte Fassung: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:02004L0037–20220405
- Richtlinie (EU) 2022/431: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32022L0431
TRGS – alle: www.baua.de/trgs
Glossar
- AGS: Ausschuss für Gefahrstoffe
- AGW: Arbeitsplatzgrenzwert (aus TRGS 900)
- BAuA: Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin
- BMAS: Bundesministerium für Arbeit und Soziales
- CMD: Carcinogens and Mutagens Directive
- CMRD: Carcinogens, Mutagens and Reprotoxic substances Directive
- EU: Europäische Union
- GW: Grenzwert
- TRGS: Technische Regel für Gefahrstoffe