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In Kürze wird für Arbeitsschutzmanagementsysteme (AMS) die weltweit gültige ISO 45001 beziehungsweise DIN ISO 45001 erscheinen. Im nachfolgenden Text geht es darum, welche Implikationen sich daraus für Unternehmen ergeben. Als Ausgangspunkt eignen sich die einzelwirtschaftlichen Wirkungen eines AMS. Aufbau, Form und Inhalte verdeutlichen die Anforderungen für Unternehmen. Darauf aufbauend soll die strategische Bedeutung der neuen Norm für den betrieblichen Arbeitsschutz erläutert werden. Angesichts der Dynamik der Entwicklung kann und soll es sich nur um eine Momentaufnahme handeln.
Prof. Dr. Dietmar Bräunig, Dr. Markus Kohn und Uwe Marx
1. Arbeitsschutzmanagementsysteme und ihre Wirkung
1.1 Begriff des Arbeitsschutzmanage-mentsystems
Arbeitsschutz spielt in den Unternehmen inzwischen eine bedeutsame Rolle. Hierfür gibt es im Wesentlichen drei Gründe: Erstens sind Maßnahmen des Arbeitsschutzes gesetzlich vorgeschrieben. Die Nichteinhaltung von entsprechenden Vorschriften kann beispielsweise für Führungskräfte zu erheblichen rechtlichen Konsequenzen führen. Zweitens sehen sich die Unternehmen zunehmend in der Verantwortung gegenüber den Beschäftigten sowie der Gesellschaft und Umwelt. Arbeitsschutz drückt eine soziale Wertorientierung im Kontext eines ethischen Anspruchs aus. Drittens unterstützt Arbeitsschutz die Erreichung wirtschaftlicher Ziele des Unternehmens. Maßnahmen des Arbeitsschutzes stellen Investitionen dar, die ebenso für das Unternehmen vorteilhaft sind.
Die freiwillige Implementierung eines Arbeitsschutzmanagementsystems (AMS) verfolgt primär das Ziel, den Arbeitsschutz noch besser in das Management eines Unternehmens zu integrieren. Es schafft die organisatorischen Voraussetzungen für eine konsequente Umsetzung der Maßnahmen des Arbeitsschutzes. Arbeitsschutz wird dadurch zu einer koordinierenden Betriebsfunktion. Einen ähnlichen Ansatz verfolgen Qualitäts- und Umweltmanagementsysteme mit dem Ziel der Qualitäts- und Umweltsicherung. Die Einführung eines Managementsystems ist stets von infrastruktureller Bedeutung. Ein AMS sichert inhärent die Verfolgung der Arbeitsschutzziele. Beispielsweise führt die konkrete prozessorientierte Betrachtung zu einer Erhöhung des Gefährdungsbewusstseins der Beschäftigten. Ob im Einzelfall die Arbeitsschutzziele erreicht werden, hängt insbesondere von den Einstellungen der Führungskräfte sowie der Beschäftigten und allgemein von den (z.B. kulturellen) Bedingungen vor Ort ab.
Von einem AMS gehen darüber hinaus Sekundärwirkungen zum Vorteil des ganzen Unternehmens aus. Beispielsweise kann die Notwendigkeit einer partnerschaftlichen Kommunikation zu einer motivierenden Betriebskultur führen. Die Beschäftigung mit der Sicherheit von Abläufen weckt das Interesse an einer Optimierung der Produktionsprozesse mit dem Ziel der Fehlervermeidung. Arbeitsschutzmanagement veranschaulicht einen planvollen Ansatz, der sich auf alle anderen Betriebsfunktionen übertragen lässt. Im Ergebnis fördern AMS die Erreichung einzelwirtschaftlicher Unternehmensziele.
1.2 Studie „Return on Prevention 2.0“
In den vergangenen Jahren wurde der Frage nachgegangen, ob sich Arbeitsschutz betriebs- bzw. einzelwirtschaftlich lohnt. Verschiedene Studien weisen auf ein für Präventionsmaßnahmen günstiges Nutzen-Kosten-Verhältnis beziehungsweise einen vorteilhaften „Return on Prevention“ im Sinne eines ökonomischen Erfolgspotenzials hin.1 Die Studien basieren auf unterschiedlichen Ansätzen (z.B. Metaanalyse von Fallstudien2, Analyse von Fällen3, Befragung von Unternehmen4) und besitzen deshalb in ihrer Gesamtheit eine hohe Aussagekraft. Zusammenfassend lautet die Schlussfolgerung, dass sich Arbeitsschutz für Unternehmen lohnt.
Es stellt sich ergänzend die Frage, ob sich auch AMS für Unternehmen lohnen. Zur Erforschung dieser Frage wurde in den Jahren 2014 und 2015 von der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft (VBG) ein Forschungsprojekt durchgeführt.5 Als Referenz diente das AMS Angebot der VBG. In Fortführung vorangegangener präventionsökonomischer Studien zum Thema Return on Prevention lag der Fokus einzelwirtschaftlich auf den Kosten und dem Nutzen. Im Kontext von AMS soll vom „Return on Prevention 2.0“ gesprochen werden.
Methodisch basiert das Projekt auf einer Befragung von 81 Unternehmen mit einem AMS und 180 Unternehmen ohne AMS. Die Erhebung erstreckt sich auf alle Größenklassen und Branchen der VBG. Die Interviews (persönlich oder schriftlich) richteten sich an fachkundige Personen der Unternehmen und beruhen auf Selbsteinschätzungen. Die Fragebögen wurden auf der Basis der Ergebnisse zweier Workshops mit Unternehmensvertretern entwickelt und getestet. Die Auswertung erfolgte mit Hilfe deskriptiver Statistik (Mittelwerte). Dabei stand ein Vergleich der Ergebnisse von Unternehmen mit einem AMS und von Unternehmen ohne AMS – differenziert nach einzelnen Merkmalen und insgesamt – im Mittelpunkt.
Inhaltlich konzentrierte sich die Befragung auf folgende Bereiche:
- wichtige Beweggründe für die (geplante) Einführung eines AMS sowie bereits existierende Managementsysteme
- Umsetzung des Arbeitsschutzes im Unternehmen sowie Beitrag des AMS zur Umsetzung des Arbeitsschutzes
- Beitrag des AMS zur Erreichung der Arbeitsschutzziele sowie einzelwirtschaftlicher Ziele
Außerdem interessierte bei Unternehmen mit einem AMS, wie diese die monetären Wirkungen bewerten. Der Return on Prevention ergibt sich konzeptionell als (geschätztes) Nutzen-Kosten-Verhältnis.
1.3 Bessere Erreichung der Ziele
Die Ergebnisse der Studie der VBG „Return on Prevention 2.0, Kosten und Nutzen von AMS für Unternehmen“ können für die befragten Unternehmen wie folgt zusammengefasst werden:6
- Kundenerwartung und Image waren besonders wichtige Beweggründe für die Einführung eines AMS. Bei Unternehmen, die derzeit die Einführung eines AMS planen, geht es hauptsächlich um Rechtssicherheit und Systemoptimierung. Unternehmen, die ein AMS eingeführt haben oder dies planen, betreiben häufig bereits ein Qualitätsmanagementsystem.
- Unternehmen mit einem AMS weisen bezüglich der betrachteten Merkmale des Arbeitsschutzes eine bessere Umsetzung auf. Außerdem bewerten Unternehmen mit einem AMS den Beitrag des AMS zur Umsetzung des Arbeitsschutzes grundsätzlich besser als Unternehmen ohne AMS. Im Ergebnis tragen AMS tendenziell zu einer besseren Umsetzung des Arbeitsschutzes bei.
- Unternehmen mit einem AMS bewerten den Beitrag des AMS zur Erreichung der Arbeitsschutzziele sowie einzelwirtschaftlichen Ziele besser als Unternehmen ohne AMS. Beispielsweise werden die jeweils größten Verbesserungen bezüglich der Ziele „systematischer Arbeitsschutz als Bestandteil der Führungsprozesse“ und „Optimierung der Organisation des Arbeitsschutzes zur Vermeidung eines Organisationsversagens“ sowie „Verbesserung der Beziehungen zu Kunden“ und „Verbesserung der Klarheit der Ziele bei der Unternehmensplanung“ erreicht. Im Ergebnis lassen sich Arbeitsschutzziele und einzelwirtschaftliche Ziele mit einem AMS tendenziell besser erreichen.
Zu den besonders markanten Ergebnissen gehört des Weiteren, dass die Wirkungen des AMS bei kleinen und mittelgroßen Unternehmen (bis 250 Beschäftigte) deutlich größer als bei großen Unternehmen (ab 250 Beschäftigte) ausfallen.
Für den Return on Prevention ergibt sich nach Bereinigung und Glättung ein (Mittel-)Wert von 2,3. Aufgrund der relativ geringen Zahl von tatsächlich berücksichtigten Antworten und einer hohen Standardabweichung soll es sich lediglich um einen vorläufigen Wert handeln.
2. Entwicklung der ISO 45001
2.1 Bedeutung der Normung im Arbeitsschutz
Normung im Arbeitsschutz wird in Deutschland durchaus konträr aufgefasst. Die deutsche Position, durch DIN im Jahr 2013 im Rahmen der Abstimmung zum New Work Item Proposal zur Überführung der OHSAS 18001 in eine ISO Norm geäußert, war deutlich ablehnend. Folgende Argumente wurden angeführt:
- Es gäbe keine wesentliche Verbesserung der gegenwärtigen Situation.
- Einheitslösungen seien nicht für alle Organisationen optimal.
- Die Thematik sei bereits in bestehenden ILO-Leitfäden abgedeckt.
- Es seien Konflikte oder eine Konkurrenz mit Gesetzen möglich.
Als Alternative zu einer ISO Norm im Arbeitsschutz wurde die Fortschreibung der vorhandenen Normen/Regelwerke vorgeschlagen.
Dieses ablehnende Abstimmungsverhalten lässt sich auch durch den Gemeinsamen Deutschen Standpunkt zur Normung7 aus dem Jahr 1993 sowie das Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz8 aus dem Jahr 2014 erklären. Im Kern geht es in den Papieren darum, dass im Bereich des Arbeitsschutzes die staatlichen Arbeitsschutzbehörden sowie die Unfallversicherungsträger Anforderungen festlegen und die Überwachung der Umsetzung sicherstellen. Eine weitere Konkretisierung von Anforderungen im Arbeitsschutz durch Normen ist dabei nicht vorgesehen. Diese Position wird weiterhin konsequent vertreten. Dies hat auch zur Folge, dass im Bereich der auf Artikel 118a (jetzt Artikel 153 AEUV) gestützten Richtlinien nur in Ausnahmefällen Normungsinitiativen von deutscher Seite her erfolgen sollen.9 In diesem Kontext vertritt für und in Deutschland die Kommission Arbeitsschutz und Normung die Interessen des Arbeitsschutzes in der Normung.
Entscheidend ist nun, dass es sich bei der kommenden DIN ISO 45001 um eine Arbeitsschutzmanagementsystem-Norm und keine Arbeitsschutznorm handelt. Im Gegensatz zu einer Arbeitsschutznorm kann sie keine konkreten Arbeitsschutzanforderungen regeln, wie sie aus der Gesetzgebung oder den berufsgenossenschaftlichen Vorschriften her bekannt sind. Ein Konflikt oder eine Konkurrenz mit deutschen Regelwerken darf nicht entstehen. Eine Norm kann die staatliche Gesetzgebung und die Kontrolle der Einhaltung der Regeln nicht ersetzen. Die Aufgabe der Zertifizierer besteht in erster Linie darin, die Konformität von Strukturen zur Norm zu prüfen beziehungsweise zu auditieren. Dies ist nicht vergleichbar mit der staatlichen und berufsgenossenschaftlichen Kontrolle der Einhaltung der Regelungen.
2.2 Ziele und Werdegang der Norm
Seitdem das Projektkomitee ISO PC 283, bestehend aus 27 teilnehmenden Staaten und 12 weiteren Organisationen mit Beobachterstatus, im Oktober 2013 in London die Arbeit aufgenommen hat, indem die Arbeitsgruppe 1 gegründet und der erste Arbeitsentwurf zur ISO 45001 ausgearbeitet wurde, hat sich einiges getan. Zur Erinnerung: Auf der Grundlage der bekannten britischen Arbeitsschutznorm OHSAS 18001 sollte eine internationale Norm erarbeitet werden, die unter anderem folgende Ziele verfolgt:
- Schaffung eines einheitlichen, international anwendbaren und anerkannten Standards für AMS
- Schaffung eines modernen Standards (proaktiver Ansatz)
- Minimierung der Risiken für die Organisation des Unternehmens und der Beschäftigten
- kontinuierliche Verbesserung der Arbeitsschutzleistung (Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit)
- Nachweis der Einhaltung von Arbeitsschutzstandards als Kontraktor
- Verknüpfung des AMS mit anderen Managementsystemen
- Reduzierung der Gefährdungen und Belastungen für Beschäftigte
Darüber hinaus ist es wichtig zu wissen, dass die Norm der neuen High Level Structure der ISO/IEC Richtlinie10 folgt. Dort ist im sogenannten Annex SL festgelegt, welche Struktur zukünftig zu erstellende beziehungsweise in Überarbeitung befindliche Managementsystemnormen abzubilden haben. Auch Formulierungen sind teilweise vorgegeben. Sie dürfen weder gestrichen noch verfremdet werden. Lediglich Ergänzungen sind möglich, die sich auf die Besonderheiten des beschriebenen Managementsystems beziehen und entsprechend begründet sind. Die High Level Structure soll die integrative Umsetzung mehrerer Managementsystemnormen im Unternehmen erleichtern. Auf diese Weise bedarf es nicht mehr des Aufbaus jeweils eigener, im Gesamtzusammenhang möglicherweise jedoch redundanter Strukturen und Prozesse, sondern es können gemeinsame Strukturen und Prozesse integriert genutzt und entsprechende Synergieeffekte erschlossen werden. Es lag nahe, bei der Erarbeitung der ISO 45001 gleich eine Harmonisierung mit Qualitätsmanagement- und Umweltmanagementsystemnormen anzustreben.
Zuletzt war das Projektkomitee ISO/PC 283 anlässlich der vierten Tagung im September 2015 bei der International Labour Organization in Genf zu Gast. Dort wurde schließlich der Grundstein gelegt, den Committee Draft 2 (CD 2, Komitee Entwurf) in den Draft International Standard (DIS, Standardentwurf) zu überführen. Dazu mussten knapp 2500 internationale Kommentare behandelt werden. Allein die Tatsache, dass mittlerweile 59 Staaten aktiv an der Norm mitarbeiten, unterstützt durch 15 Beobachter und 17 Liaisonmitglieder, unterstreicht das große weltweite Interesse an der kommenden Norm. Die Arbeitsgruppe 1 hat sich mittlerweile in sieben Unterarbeitsgruppen aufgeteilt, um die Arbeiten bewältigen zu können. Das birgt auch Nachteile in sich, was zum Beispiel das Zusammenführen der jeweiligen Arbeitsergebnisse und den Fluss des gesamten Dokuments betrifft. Dennoch – oder gerade deshalb – mussten über 500 Kommentare abschließend im Plenum behandelt werden, um den notwendigen Konsens zu erreichen.
Der Arbeitsausschuss 175–00–02 „Arbeitsschutzmanagementsysteme“ des Normenausschusses für Organisationsprozesse bei DIN begleitet dabei als deutsches Spiegelgremium die Entwicklung der Norm. Die dort vertretenen 26 Mitglieder aus den interessierten Kreisen beschlossen auf ihrer letzten Sitzung im November 2015 die Übernahme der ISO Norm als eine nationale DIN ISO 45001. Der damit verbundene ins Deutsche übersetzte DIS 45001 war ab Anfang März 2016 für knapp zwei Monate zur Kommentierung verfügbar.
Die Norm wird voraussichtlich im Frühjahr 2017 vorliegen. Der theoretisch frühest mögliche Erscheinungstermin im Herbst 2016 wird aufgrund der zu erwartenden Anzahl an neuen Kommentaren kaum zu halten sein. Auch müsste zur Einhaltung eines Erscheinungstermins im Jahr 2016 auf den FDIS (Final Draft International Standard, endgültiger Standardentwurf) mit einhergehender Abstimmungsphase verzichtet werden. Die mögliche Verlängerung um neun Monate setzt als Deadline jedenfalls den Juli 2017.
2.3 Form und Inhalte der DIN ISO 45001 (Stand E DIN ISO 45001: 2016-03)
Im nationalen Vorwort wird der Bezug zum Vorschriften- und Regelwerk hergestellt. Insbesondere soll hier erläutert werden, dass die Norm zwar als weitere Informationsquelle für den Arbeitsschutz dienen kann, aber kein rechtlich bindender Zusammenhang zwischen der Erfüllung der Normanforderungen und der Einhaltung nationaler rechtlicher Anforderungen besteht. Ansonsten wird die DIN ISO 45001 der High Level Structure folgen, also die zehn festgelegten Kapitel beinhalten. Nachstehend finden sich einige wichtige Inhalte:
- Anwendungsbereich
- Normative Verweisungen
- Begriffe
- Besonderheiten: Risiko, A&GS Risiko, A&GS Chancen, Beschäftigte, Arbeitsplatz, Beteiligung, Konsultation
- Kontext der Organisation
- Verstehen der Erfordernisse und Erwartungen von Beschäftigten und anderen interessierten Parteien
- Führung und Beteiligung der Beschäftigten
- Höhere Anforderungen an Top Management und Führungskräfte
- Wegfall des Beauftragten der obersten Leitung
- Regelung der Beteiligung und Konsultation der Beschäftigten mit dem Ziel der starken Einbindung
- Planung
- Detaillierte Anforderungen an Identifizierung der Gefährdungen und Beurteilung der Risiken
- Bewertung von Risiken und Identifizierung von Chancen
- Proaktiver Präventionsansatz
- Ziele und Planung der Zielerreichung
- Wegfall der Programme zum Erreichen der Zielsetzung
- Unterstützung
- Bewusstsein
- Dokumentierte Informationen und deren Lenkung
- Betrieb
- Erweiterte Maßnahmenhierarchie im Arbeitsschutz
- Notfallplanung und Notfallreaktion (inklusive Erste Hilfe)
- Bewertung der Leistung
- Bewertung der Übereinstimmung mit gesetzlichen Vorschriften und sonstigen Anforderungen
- Verbesserung
- Ziele der fortlaufenden Verbesserung
- Prozess zur fortlaufenden Verbesserung
Im Anschluss wird der informative Anhang folgen. Es handelt sich dabei um einen Leitfaden zur Anwendung der Norm, der nicht separat erscheint, sondern zeitgleich mit der Norm.
3. Bedeutung der ISO 45001
3.1 Bisheriger Stand der Arbeitsschutzmanagementsysteme
Durch die zunehmende Globalisierung und die sich dadurch ändernden politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen wird der Nachweis eines wirksamen Arbeitsschutzes in den Unternehmen zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor. Daher wächst auch in Deutschland die Anzahl der Unternehmen mit einem begutachteten AMS stetig an. Die hierbei am weitesten verbreiteten Standards sind neben den internationalen OHSAS 18001 und SCC vor allem die auf dem „Nationalen Leitfaden“11 basierenden Systeme OHRIS und ASCA der Bundesländer sowie „Sicher mit System“ (SmS) und MAAS-BGW der Unfallversicherungsträger.
Beratungen und Zertifikate beziehungsweise Beurkundungen für die beiden Standards OHSAS 18001 und SCC sind nur kommerziell, das heißt gegen entsprechende Entgelte erhältlich. Die AMS der Länder und Unfallversicherungsträger sind freiwillig und mit Ausnahme von MAAS-BGW entgeltfrei oder gegen eine geringe Kostenbeteiligung erhältlich. In einigen Fällen ist die erfolgreiche Begutachtung sogar mit einer finanziellen Prämie an das jeweilige Unternehmen verbunden. Die Unfallversicherungsträger haben in der Vergangenheit ihren Mitgliedsunternehmen angeboten, im Rahmen einer Begutachtung optional zusätzlich die Erfüllung weiterer Standards, wie zum Beispiel OHSAS 18001, mit zu prüfen und im Erfolgsfall dies auf Wunsch auf der Bescheinigung zu vermerken. Allerdings, und dies wird den interessierten Unternehmen stets eindeutig vermittelt, handelt es sich bei diesen zusätzlichen Überprüfungen und Bestätigungen nicht um Audits und Zertifikate auf Basis einer Akkreditierung.
Die zusätzliche Überprüfung der Miterfüllung von OHSAS 18001 im Rahmen einer AMS-Begutachtung auf Basis von SmS werden die Unfallversicherungsträger künftig nicht mehr anbieten. Stattdessen wird eine freiwillige und ebenfalls nicht akkreditierte zusätzliche Überprüfung der Miterfüllung von DIN ISO 45001 im Rahmen einer AMS-Begutachtung auf der Basis von SmS angeboten werden. Ob und in welchem Umfang die Unternehmen dieses Angebot der Unfallversicherungsträger annehmen werden, ist derzeit noch offen.
3.2 Strategische Bedeutung der neuen DIN ISO 45001 für den betrieblichen Arbeitsschutz
Es sind im Wesentlichen drei Effekte, die eine DIN ISO 45001 für den betrieblichen Arbeitsschutz in strategischer Hinsicht besonders interessant machen: Synergieeffekte durch die Integration des AMS in andere betriebliche Managementsysteme, Vereinfachungseffekte durch die internationale Vereinheitlichung von Anforderungen an die Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes sowie Rationalisierungseffekte durch die vereinfachte Überwachung der Organisation durch die deutschen Aufsichtsbehörden.
Wie bereits erwähnt wurde die DIN ISO 45001 gemäß der High Level Structure entwickelt. Dadurch können Unternehmen, die die Einführung eines AMS nach ISO 45001 beabsichtigen, dieses leicht in ein bereits bestehendes Managementsystem nach dem High Level Structure-Format integrieren. Möglich wäre zum Beispiel die integrierte Umsetzung eines AMS mit beispielsweise einem Qualitätsmanagementsystem (DIN EN ISO 9001: 2015) oder einem Umweltmanagementsystem (DIN ISO 14001:2015).
In der Vergangenheit wurden in Deutschland AMS basierend auf OHSAS 18001 eingeführt und zertifiziert. Bei OHSAS 18001 handelt es sich jedoch um einen britischen Standard, der zwar in Großbritannien und einigen weiteren Ländern, nicht jedoch weltweit als Standard akzeptiert ist. Mit der künftigen Norm DIN ISO 45001 wird nun ein weltweit und durch die Übernahme als deutsche Norm auch in Deutschland akzeptierter Standard vorliegen.
Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet den Arbeitgeber, für eine geeignete Organisation der erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes zu sorgen. Über die Art und Weise, wie diese Organisation genau aussehen soll oder kann, macht das Arbeitsschutzgesetz jedoch keine weiteren Angaben. Die DGUV Vorschrift 1 „Grundätze der Prävention“ wird hierzu zwar konkreter: Sie verpflichtet den Unternehmer, die Maßnahmen des Arbeitsschutzes „zu planen, zu organisieren, durchzuführen und erforderlichenfalls an veränderte Gegebenheiten anzupassen“. Aber auch die Vorschrift 1 macht ebenfalls keine Angaben dazu, wie dies genau erfolgen soll. Sie hat jedoch durch die verpflichtende Vorgabe von vier Schritten (planen, organisieren, durchführen, anpassen) in § 2 Abs. 3 einen Regelkreis definiert. Ein AMS kann ein geeignetes Instrument zur Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes sein. Ob das im konkreten Fall tatsächlich so ist, hängt allerdings davon ab, wie das jeweilige Unternehmen das AMS implementiert und umsetzt. Eine Verpflichtung hierzu gibt es jedoch nicht, die Einführung eines AMS ist eine freiwillige Maßnahme.
Ein mit Unterstützung einer staatlichen Arbeitsschutzbehörde oder eines Unfallversicherungsträgers erfolgreich eingeführtes und bestätigtes AMS stellt zunächst nur ein formales Ergebnis dar. Von den staatlichen Aufsichtsbehörden und den Aufsichtsdiensten der Unfallversicherungsträger wird es ausdrücklich anerkannt und führt beispielsweise dazu, dass grundsätzlich keine Überprüfung der Aufbau- und Ablauforganisation des betrieblichen Arbeitsschutzes erfolgt. Bei mit Unterstützung von Dritten eingeführten AMS soll eine stichprobenartige Überprüfung der Wirksamkeit der Arbeitsschutzorganisation stattfinden. Unternehmen, die mit Hilfe akkreditierter Zertifizierer ein AMS nach DIN ISO 45001 einführen und zertifizieren lassen, profitieren somit von einer solch vereinfachten Prüfung der betrieblichen Arbeitsschutzorganisation durch die Aufsichtsbehörden beziehungsweise Aufsichtsdienste.
Mit einem AMS nach DIN ISO 45001 gehen die üblichen betriebswirtschaftlichen Wirkungen wie bei jedem AMS einher (siehe Abschnitt 1.2 und 1.3). Es bleibt abzuwarten, ob es, wie bei der legendären DIN EN ISO 9001, zu einer „Zertifizierungswelle“ kommt und die neue Norm eine weltweite Bedeutung mit positiver Rückwirkung auf die Leistungsfähigkeit der Unternehmen erlangt.
3.3 Chancen und Risiken
Eine abschließende Beurteilung der DIN ISO 45001 fällt derzeit noch schwer. Wie immer gibt es Chancen und Risiken, die im Folgenden kurz skizziert werden sollen.
Chancen
- Aufgrund der standardisierten High Level Structure der DIN ISO 45001 kann das AMS im Betrieb relativ problemlos in bestehende Managementsysteme integriert werden. Dazu müssen diese jedoch ebenfalls der standardisierten Struktur entsprechen, was bei zahlreichen Managementsystemen bereits der Fall ist und künftig immer häufiger der Fall sein dürfte. So wäre es beispielsweise möglich, anlässlich einer Re-Implementierung des betrieblichen Qualitätsmanagementsystems nach DIN EN ISO 9001:2015 oder Umweltmanagementsystems nach DIN EN ISO 14001:2015 ein AMS nach DIN ISO 45001 mit umzusetzen.
- Wichtige Aspekte eines betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) nach DIN SPEC 91020 werden von der DIN ISO 45001 abgedeckt. Es ist somit fraglich, ob es für Unternehmen notwendig ist, zusätzlich ein BGM nach DIN SPEC 91021 „Betriebliches Gesundheitsmanagement“ einzuführen.
- Die betriebliche Arbeitsschutzorganisation wird durch die DIN ISO 45001 aufgewertet. Es besteht die Chance, dass Arbeitsschutz nicht mehr als notwendiges Übel, sondern als einzelwirtschaftlicher Faktor für den unternehmerischen Erfolg begriffen wird. Hierzu trägt beispielsweise bei, dass die neue Norm die Akteure des betrieblichen Arbeitsschutzes und die Beschäftigten stärker als bislang häufig üblich in die Prozesse des Arbeitsschutzes einbezieht. Desgleichen konzentriert sie sich auf die Wertschöpfungskette und bindet externe Vertragsnehmer in die betriebliche Arbeitsschutzorganisation ein.
- Die ISO 45001 stellt einen internationalen Standard für AMS dar. Dadurch werden Anforderungen an die betriebliche Arbeitsschutzorganisation künftig weltweit vergleichbar. Es besteht die Chance, dass es zu einer größeren internationalen Verbreitung von AMS kommt, was trotz aller Vorbehalte wiederum dem Arbeitsschutz zuträglich wäre.
Risiken
- Unternehmen müssen aus Wettbewerbsgründen schon heute eine Vielzahl von Zertifikaten vorhalten. Es besteht die Gefahr, dass solche Zertifikate zu bloßen Aushängeschildern verkommen und in der betrieblichen Praxis die zugrunde liegenden Anforderungen nicht gelebt werden. Grundsätzlich besteht diese Gefahr auch bei der DIN ISO 45001. Es bedarf daher einer motivierenden Auditierungs- und Betreuungspraxis. Hierbei berücksichtigen lassen sich beispielsweise die Wirkungen eines AMS und der damit potenziell verbundene Nettonutzen.
- Insbesondere große Unternehmen, die am Markt als Auftraggeber auftreten, verlangen von ihren Auftragnehmern häufig den Nachweis der Einführung bestimmter Managementsysteme, zum Beispiel branchenübergreifend Qualitätsmanagementsysteme nach DIN EN ISO 9001 oder branchenspezifische Qualitätszertifikate. Es besteht auch bei der DIN ISO 45001 die Gefahr, dass auf diesem Weg implizit ein Zwang zur Zertifizierung entsteht. Eine geeignete Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes ist in Deutschland zwar für jedes Unternehmen eine gesetzliche Pflicht, die Einführung eines AMS sollte jedoch eine freiwillige Maßnahme bleiben. Ein marktgetriebener Zertifizierungszwang könnte insbesondere bei kleinen Unternehmen zu erheblichen Problemen führen. Unternehmen, die sich freiwillig für die Einführung eines AMS entscheiden, sind in ihrer Entscheidung selbstverständlich zu bestärken.
4. Ausblick
AMS unterstützen Unternehmen bei der Erreichung ihrer Arbeitsschutz- und einzelwirtschaftlichen Ziele. Mit der neuen ISO 45001 wird eine international anerkannte und aufgrund der High Level Structure integrierbare Plattform für AMS geschaffen. Ob sie sich als genauso erfolgreich wie Normen anderer Managementsysteme erweisen wird, bleibt abzuwarten. Die Einführung sollte auch weiterhin eine freiwillige Maßnahme der Unternehmen bleiben. Auf jeden Fall bietet diese Entwicklung für Arbeitsschutz und Unternehmen interessante Perspektiven.
Fußnoten
1 Siehe Dietmar Bräunig und Thomas Kohstall, Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit des betrieblichen Arbeitsschutzes – Zusammenstellung der wissenschaftlichen Evidenz 2006 bis 2012, in: iga.Report 28, 2015, S. 111–127 (www.iga-info.de/veroeffentlichungen/igareporte).
2 Siehe Jos Verbeek, M. Pulliainen und Eila Kankaanpää, A systematic review of occupational safety and health business cases, in: Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, Volume 35, 2009, Issue 6, S. 403–412.
3 Siehe Marc De Greef et al., Socio-economic costs of accidents at work and work-related ill health, Full study report, European Commission, Directorate-General for Employment, Social Affairs and Inclusion (Hrsg.), Luxembourg 2011.
4 Siehe Dietmar Bräunig und Thomas Kohstall, Berechnung des internationalen „Return on Prevention“ für Unternehmen: Kosten und Nutzen von Investitionen in den betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutz, Abschlussbericht 2, Projekt der Internationalen Vereinigung für Soziale Sicherheit, Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung und Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse, hrsg. von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, Berlin 2013 (www.dguv.de (Webcode: d39680)).
5 Siehe Dietmar Bräunig und Thomas Kohstall, Return on Prevention 2.0, Kosten und Nutzen von Arbeitsschutzmanagementsystemen für Unternehmen (Ergebnisbericht), hrsg. von der VBG, 2015 (www.vbg.de/ams).
6 Ergebnisse einschließlich Erläuterungen finden sich bei ebenda, S. 5 ff.
7 Gemeinsamer Deutscher Standpunkt zur Normung im Bereich der auf Artikel 118a des EG-Vertrages (jetzt Artikel 153 AEUV – Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union) gestützten Richtlinien.
8 Grundsatzpapier zur Rolle der Normung im betrieblichen Arbeitsschutz des Bundesmini-steriums für Arbeit und Soziales – Bek. d. BMAS v. 24.11.2014 im GMBl 2015 S. 2 [Nr. 1].
9 Ebenda, Abschnitt 2.1.2.2.
10 Annex SL, ISO/IEC Directives, Part 1: Consolidated ISO Supplement – Procedures specific to ISO (http://www.iso.org/iso/annex_sl_excerpt_-_2015__6th_edition_-hls_and_guidance_only.pdf).
11 Leitfaden für Arbeitsschutzmanagementsysteme des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit (BMWA), der obersten Arbeitsschutzbehörden der Länder, der Träger der gesetzlichen Unfallversiche-rung und der Sozialpartner, Dortmund 2002 (www.baua.de/de/Themen-von-A‑Z/Organisation/pdf/Leitfaden-AMS.pdf).
Sicherheitsingenieur 06|2016