Im Rahmen des Forschungsprojektes TAQP werden am Flughafen Frankfurt zwei Arbeitsbereiche untersucht. Während bei der Gepäckabfertigung an der Mensch-Maschine-Schnittstelle die physischen Belastungen überwiegen, sind die psychischen Belastungen an der Mensch-Mensch-Schnittstelle bei der Luftsicherheitskontrolle vorherrschend. Basierend auf den Ergebnissen können auch andere Branchen von dem vierjährigen Projekt profitieren.
DGUV Herrn Dr. Markus Kohhn Alte Heerstr. 111 53757 Sankt Augustin FRAPORT AG Herrn Achim Kriegsmann Arbeitssicherheit 60547 Frankfurt am Main
„Technologieinnovation, Arbeitsorganisation, Qualifizierung, Prävention – Systematisches Handlungskonzept für Produktivität und Gesundheit“ oder kurz: TAQP lautet der Titel des Forschungsprojektes, das die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV) gemeinsam mit der Fraport AG, Betreiberin des Flughafens Frankfurt am Main, durchführt. Das Projekt wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert und vom Europäischen Sozialfonds kofinanziert. Der Schwerpunkt von TAQP ist der präventive Arbeits- und Gesundheitsschutz und wie dieser bei der Einführung neuer Technologien und bei der Gestaltung von Arbeitssystemen von vornherein integriert werden kann.
Gestaltungsfeld Flughafenbetrieb
Als Interventionsfeld des Projekts TAQP stehen die Bereiche „Gepäckverladung“ und „Luftsicherheitskontrolle“ des Flughafens Frankfurt am Main im Mittelpunkt. Gemessen an den Passagierzahlen lag Frankfurt Airport in 2009 europaweit hinter London-Heathrow und Paris Charles de Gaulle auf Platz drei – im Fracht-Bereich auf Platz zwei der europäischen Flughäfen. In 2009 sind in Frankfurt rund 51 Millionen Passagiere gestartet, gelandet oder umgestiegen. 71.000 Beschäftigte von insgesamt ca. 500 Firmen und Institutionen – knapp 18.500 (zum Jahresende 2009, inkl. Auszubildende und Freigestellte) allein bei der Fraport AG und ihren Töchtern und Beteiligungen vor Ort – machen den Frankfurter Flughafen zur größten Arbeitsstätte Deutschlands [1]. Ein derart großes Beschäftigungsaufkommen mit vielfältigen Tätigkeiten und folglich einer Vielzahl von Arbeitsplatzspezifika macht einen umfassenden und ganzheitlich ansetzenden Arbeits- und Gesundheitsschutz erforderlich. Jede dieser Tätigkeiten geht mit verschiedenen, auf den Mitarbeiter einwirkenden Belastungen einher.
Dies können psychische, körperliche sowie Belastungen aus der Umgebung sein. Die zwei Handlungsschwerpunkte innerhalb des Projektes TAQP liegen vor allem auf den physischen Belastungen im Bereich der Gepäckverladung, und den psychischen Belastungen im Bereich der Luftsicherheitskontrolle.
Physische Belastungen in der Gepäckverladung
Täglich werden im Bereich der Gepäckverladung am Flughafen Frankfurt im Durchschnitt über 70.000 Gepäckstücke transportiert. Ein Teil der Gepäckstücke wird innerhalb der Prozesskette sogar an drei Schnittstellen per Hand von den Mitarbeitern verladen. Es handelt sich um eine physisch sehr anspruchsvolle Tätigkeit, die verschiedener Maßnahmen bedarf, um die Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit auch hinsichtlich einer älter werdenden Belegschaft aufrecht zu erhalten. Um dieser Herausforderung gerecht zu werden, wurden am Flughafen Frankfurt zwei neue technische Systeme eingeführt, die im Rahmen des Projektes hinsichtlich Organisation, Qualifizierung und Prävention begleitet wurden. Zum einen handelt es sich um den Förderbandaufsatz „Powerstow“, ein in den Laderaum ausfahrbares Rollensystem zum Transport der Gepäckstücke, an dessen Ende ein höhenverstellbarer Ladetisch die Positionierung des Gepäcks in verschiedene Höhen ermöglicht (s. Abb. 1). Zum anderen um eine Vakuum-Hebehilfe, mit der der Mitarbeiter die Gepäckstücke nahezu ohne Kraftaufwand aus den Transporteinheiten ausladen kann (s. Abb.2). Das Institut für Arbeitsschutz (IFA) der DGUV kam durch eine Messung der Belastungen des Muskel- und Skelettsystems mit Hilfe des CUELA-Systems [2] zu dem Ergebnis, dass sich die Last, bezogen auf die Anzahl der Gepäckstücke, bei der Verwendung der Vakuum-Hebehilfe um 83 Prozent reduziert. Durch intensivere Schulungen und Routine im Umgang mit dem Gerät wird eine Reduzierung um 90 Prozent angestrebt. Ein ähnlich positives Ergebnis brachte die Messung bei der Powerstow hervor: hier konnte eine Reduzierung der mittleren Handhabungsdauer, also der Zeit, in der der Mitarbeiter im Flugzeugladeraum die Last hebt, um durchschnittlich 50 Prozent reduziert werden. Die kniende Tätigkeit, und damit verbunden die Gefahr einer Gonarthrose, kann durch das Gerät jedoch nicht verhindert werden und bleibt somit bestehen. An diesem Punkt schließt der nächste Arbeitsschwerpunkt an, die Arbeitsorganisation. Um längere Tätigkeiten in dieser ergonomisch ungünstigen Körperhaltung zu vermeiden, ist eine regelmäßige Rotation der Mitarbeiter untereinander notwendig. Durch die vielfältigen Tätigkeiten im Rahmen einer Flugzeugabfertigung sind die Möglichkeiten hierfür gegeben und sollten zwingend umgesetzt werden. Im Bereich der Qualifizierung wurde das Schulungskonzept für beide Geräte optimiert. Hierbei wurde der Schwerpunkt auf die Förderung der vorhandenen Kompetenzen gelegt, die ausschlaggebend sind für die Bewältigbarkeit der in den letzten Jahren gestiegenen Arbeitsanforderungen und die Einhaltung der Qualitätskriterien der Gepäckabfertigung am Frankfurter Flughafen, wie zum Beispiel der garantierten maximalen Umsteigezeit von 45 Minuten. Die Neuerungen am Konzept beziehen sich auf die Einbeziehung eines Mitarbeiters, der die Ausbildung auf das Gerät bereits durchlaufen hat, als Co-Trainer. In dieser Position kann er den eigenen Umgang mit dem Gerät reflektieren und sein Erfahrungswissen an Kollegen weitergeben. Diese Methode fördert direkt die Entwicklung der Kompetenzen, die sich Führungskräfte stärker von ihren Mitarbeitern wünschen. Folgende Kompetenzen gaben Führungskräfte im Rahmen einer Befragung als die für sie wichtigsten an:
- Zuverlässigkeit,
- Teamfähigkeit,
- Pflichtgefühl,
- Gewissenhaftigkeit
- Fachwissen.
Ein weiterer Schwerpunkt im neuen Konzept basiert auf dem Umgang mit Störfällen. Hierzu wurde unter Einbeziehung der Mitarbeiter ein Schulungsfilm gedreht, der mögliche Störfälle sowie das jeweils richtige Handeln aufzeigt, um einen störungsfreien Ablauf in der Gepäckverladung zu gewährleisten.
Psychische Belastungen bei der Luftsicherheitskontrolle
Die Luftsicherheitskontrolle stellt einen der sensibelsten Bereiche am Flughafen dar. Insbesondere nach dem 11. September 2001 wurden die Sicherheitsstandards stark ausgeweitet. Ständig neue Anforderungen in diesem Bereich und steigende Passagierzahlen stellen unter Berücksichtigung des demografischen Wandels – der Altersdurchschnitt liegt in diesem Bereich bei 45 Jahren – eine immer größere Herausforderung dar. Dieser Herausforderung müssen sich alle Beteiligten im Arbeits- und Gesundheitsschutz stellen. Somit müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, die die Arbeitsplatzgestaltung sowohl unter ergonomischen Gesichtspunkten als auch hinsichtlich der Ablauforganisation berücksichtigen, um Belastungen für die Beschäftigten möglichst gering zu halten.
Hinsichtlich technischer und somit auch ergonomischer Optimierung sind im Rahmen des Projektes verschiedene Maßnahmen umgesetzt worden, um die Arbeit gesundheits- und menschengerecht zu gestalten. Folgende Veränderungen haben u.a. stattgefunden:
- längere Ein- und Auslaufbänder für Handgepäckstücke,
- geräuscharme und leichtgängige Transportrollen,
- modifiziertes Wannentransportsystem,
- separate Weiche für die Nachkontrolle von auffälligem Gepäck,
- separater Monitor für die Nachkontrolle.
Die modernisierten Kontrollstellen (s. Abb. 3) weisen heute den aktuellen Stand von Technik und Forschung auf und bedürfen lediglich geringfügiger technischer Modifikationen.
Betrachtet man die unterschiedlichen Interessen (Fluggäste, Beschäftigte) der an der Kontrolle und den am vorgegebenen Verfahren (Bundespolizei, Bundesministerium des Innern) beteiligten Personen, so wird deutlich, dass für alle eine zügige, vor allem aber sichere Kontrolle im Vordergrund steht. Jedoch wird die Kontrolle selbst durch verschiedene Faktoren beeinflusst, auf die die Mitarbeiter nur eingeschränkt Einfluss nehmen können. Zwar möchte der Fluggast möglichst schnell die Kontrollstelle passieren. Nicht selten verzögert er aber durch die Mitführung von Gegenständen, die im Luftverkehr verboten sind oder einer speziellen Prüfung bedürfen, den Passagierfluss, woraufhin die Beschäftigten erweiterte Kontrollmaßnahmen durchführen müssen. Dies erzeugt nicht selten Unverständnis, Ungeduld und teilweise auch Aggression auf Seiten der Fluggäste.
Beim näheren Betrachten der Tätigkeit des Fluggastkontrolleurs fällt auf, dass einerseits klare und enge Vorgaben gekoppelt mit viel Fingerspitzengefühl im laufenden Betrieb umgesetzt werden müssen. Andererseits erfordert die Tätigkeit ein Höchstmaß an Disziplin und Menschenkenntnis. An dieser Mensch-Mensch-Schnittstelle treffen unterschiedliche Erwartungen, Interessen, Stimmungslagen, Emotionen und zum Teil auch Ängste aufeinander. An dieser Stelle werden die Belastungen und Beanspruchungen, die sich auf die Psyche der Beschäftigten auswirken, deutlich. Hier besteht auch weiterhin ein großer Handlungsbedarf.
Um den psychischen Belastungen und Beanspruchungen entgegen zu wirken, bedarf es eines umfassenden Ansatzes, der sowohl die Gestaltung des Arbeitsplatzes als auch die Führungs- und Unternehmenskultur mit einschließt. Hierzu konnten im Rahmen des Projektes TAQP unter Einbeziehung der Beschäftigten verschiedene Maßnahmen umgesetzt, weiterführende Maßnahmen angestoßen sowie bereits bestehende fortgeführt werden:
- Ausbau und Gestaltung der Sozialräume,
- „Tauschbörse“ – Möglichkeit zum Tausch einer Schicht,
- Mitarbeiterworkshops im Sinne der Partizipation,
- Drei „Jokertage“ – kurzfristiger Anspruch auf einen Urlaubstag,
- „Mit Sicherheit ein Lächeln“ – Kampagne zur Kundenorientierung und Konfliktmanagement,
- Sozialberatung in schwierigen Lebenssituationen.
All diese Maßnahmen dienen der Minderung psychischer Belastungen und Beanspruchungen sowie einer besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Diese wiederum ist ausschlaggebend dafür, dass belastende Situationen aus dem Privatleben verringert werden und weniger Chancen haben, Einzug an den Arbeitsplatz zu halten.
Systematischer Handlungsansatz
Das systematische Handlungskonzept ist ein weiterer Schwerpunkt im Projekt TAQP. Dieses gewährleistet die Zusammenführung und Bündelung der praktischen Maßnahmen und Ergebnisse kombiniert mit Handlungsempfehlungen aus den bereits beschriebenen Teilprojekten Gepäckverladung und Luftsicherheitskontrolle. Ziel des Konzeptes ist die Dokumentation der Abläufe und Maßnahmen eines präventiven Arbeits- und Gesundheitsschutzes im Rahmen von Innovationsprozessen. Diese soll für die Fraport AG sowohl ein Gesamtergebnis einer vierjährigen Projektarbeit darstellen als auch Basis und Wegweiser für zukünftige Innovationsprozesse sein. Darüber hinaus soll das Konzept weiteren Flughäfen aber auch branchenverwandten Unternehmen wie z.B. der Logistikbranche oder Sicherheitsdienstleistern im Sinne eines Ergebnistransfers zur Verfügung gestellt werden.
Fazit
Alter(n)sgerechte Gestaltung von Arbeit hat in Zeiten, in denen die Anhebung des gesetzlichen Renteneintrittsalters bereits vollzogen wurde und weitere Anhebungen immer wieder in der Diskussion sind, eine immens große Bedeutung. Die Arbeitgeber sind gezwungen, die geistigen und körperlichen Ressourcen ihrer Beschäftigten zu fordern und andererseits aber auch zu fördern, um ein vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern. Im Projekt TAQP wurde dieser Problematik mit einer ganzheitlichen Herangehensweise entgegengewirkt, indem alle Aspekte – Technologieinnovation, Arbeitsorganisation, Qualifizierung und Prävention – systematisch miteinander verbunden und aufeinander abgestimmt wurden [3]. Die Unternehmen müssen sich den Herausforderungen Technisierung, Globalisierung und Erhalt der Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit langfristig stellen. Fraport AG und DGUV haben in ihrem gemeinsamen Projekt weitere Ansätze hierzu entwickelt.
Literatur
- 1. www.fraport.de, (Zugriff: 19.07.2010)
- 2. Ellegast, Rolf; Hermanns, Ingo; Schiefer, Christoph: Feldmesssystem CUELA zur Langzeiterfassung und –analyse von Bewegungen an Arbeitsplätzen, Zeitschrift für Arbeitswissenschaft, 2/2010, 101–109
- 3. DGUV (Hrsg.) (2010) Sicherstellung der Beschäftigungsfähigkeit im Flughafenbetrieb durch ganzheitliche Prävention – Beiträge zum Projekt „Technologieinnovation, Arbeitsorganisation, Qualifizierung und Prävention (TAQP)“, Sankt Augustin, (erscheint Nov. 2010)
Autoren:
Steffi Krüger Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung DGUV Abt. Sicherheit und Gesundheit E‑Mail: s.krueger.dguv@flughafen-frankfurt.de
Achim Kriegsmann Fraport AG, Arbeitssicherheit E‑Mail: a.kriegsmann@fraport.de
Dr. Markus Kohn Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung DGUV Abt. Sicherheit und Gesundheit E‑Mail: markus.kohn@dguv.de
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