Die Reform der Gefahrstoffverordnung ist in vollem Gange. Damit reagiert der Gesetzgeber auf die veränderten chemikalienrechtlichen Bedingungen, so dass die neue Gefahrstoffverordnung an REACH und GHS angepasst wird. Wichtig auch: Das im Jahre 2005 eingeführte Schutzstufenkonzept wird praxisnah überarbeitet. Der folgende Beitrag basiert auf einem Vortrag bei den Münchner Gefahrstofftagen.
Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat am 24. September 2009 einen Referentenentwurf zur Neufassung der Gefahrstoffverordnung versandt. Mit diesem Entwurf, der sich in der Abstimmung mit allen beteiligten Kreisen befindet, wird die zeitnahe Anpassung der Gefahrstoffverordnung an die REACH- und insbesondere an die CLP-(EG-GHS)-Verordnung vorbereitet. Kernpunkt ist die Aufhebung der strikten Bindung der abgestuften Schutzmaßnahmenpakete nur an die Kennzeichnung. Bis zum Ablauf der EG-GHS-Übergangsfristen im Jahr 2015 wird die Gefahrstoffverordnung weiter auf dem alten EU-Einstufungssystem basieren – zur Erleichterung für KMU und zur Verhinderung eines Parallelsystems.
In den letzten Jahren hat die europäische Chemikalienpolitik grundlegende Veränderungen erfahren. Zurückzuführen ist dies insbesondere auf zwei EG-Verordnungen. Dies ist zum einen die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (REACH-Verordnung), die am 01. Juni 2007 in Kraft getreten ist und die die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien regelt. Zum anderen ist dies die am 20. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 (CLP-(EG-GHS)-Verordnung) mit Regelungen zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen. Als EG-Verordnungen sind sowohl die REACH- als auch die CLP-Verordnung in allen EU-Mitgliedsstaaten unmittelbar gültig. Trotzdem haben diese Regelungen direkten Einfluss auf die bestehenden nationalen Regelungen des Chemikalienrechts und machen eine Anpassung der Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) erforderlich. Mit dem vorliegenden Referentenentwurf zur Neufassung der Gefahrstoffverordnung wird zeitnah auf die geänderten rechtlichen Rahmenbedingungen reagiert und für die Praxis werden leicht handhabbare Regelungen für die langen EG-GHS-Übergangsfristen vorgesehen. Gleichzeitig erfolgt eine Weiterentwicklung der Gefahrstoffverordnung auf der Basis der Erfahrungen mit der Gefahrstoffverordnung 2005 und aktueller Diskussionen des Ausschusses für Gefahrstoffe (AGS).
Anpassungsbedarf aufgrund der REACH-Verordnung
Die erforderlichen Anpassungen aufgrund der zum 1.6.2008 bzw. zum 1.6.2009 wirksam gewordenen Bestimmungen der EG-REACH-Verordnung betreffen – neben erforderlichen redaktionellen Änderungen – insbesondere den Anhang IV „Herstellungs- und Verwendungsverbote“ der Gefahrstoffverordnung, denn Anhang XVII der REACH-Verordnung enthält EU-weit rechtsverbindliche, unmittelbar geltende Beschränkungen. Diese EG-Regelungen werden aus dem Anhang der GefStoffV gestrichen, der zukünftig nur noch rein nationale Einträge enthalten wird, wie z.B. zu Korrosionsschutzmitteln oder zu biopersistenten Fasern.
Anpassungsbedarf aufgrund der CLP-(EG-GHS)-Verordnung
Die CLP-Verordnung macht eine Anpassung der GefStoffV bezüglich der Regelungen zur Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung erforderlich. Hierzu sollen die entsprechenden Vorschriften in einem Paragrafen zusammengeführt und der zur Zeit noch zusätzlich bestehende Anhang II aufgehoben werden. Die CLP-Verordnung sieht für Stoffe eine Übergangsfrist bis zum 01. Dezember 2010 und für Gemische bis zum 01. Juni 2015 vor. Die GefStoffV muss deshalb so gestaltet werden, dass sie bis zum Ablauf aller Übergangsfristen eine praktikable Rechtsgrundlage sowohl für das alte als auch für das neue Einstufungs- und Kennzeichnungssystem bildet. Dazu soll sie weiter auf der Einstufung nach dem alten EU-System basieren, zugleich aber auch die Anwendung des neuen Systems zulassen und seine Einführung erleichtern. Deshalb wird deklaratorisch auf die Gültigkeit der CLP-Verordnung verwiesen. Als Folge davon ist eine Anpassung des Schutzstufenkonzeptes erforderlich. Diese Änderung der GefStoffV erfolgt bereits zum jetzigen Zeitpunkt, weil die EG-GHS-Regelungen jetzt schon von der Wirtschaft angewendet werden dürfen und bei Ex- und Import hiervon bereits Gebrauch gemacht wird. Eine vollständige Umstellung der GefStoffV auf das neue Einstufungs- und Kennzeichnungssystem ist erst nach Ablauf der Übergangsfristen der CLP-Verordnung zum 01. Juni 2015 geplant.
Vorgehen in der Übergangszeit
Für die Übergangszeit bis 2015 hat die Praxis Bedarf an einer Hilfestellung für den innerbetrieblichen Umgang mit Einstufungen und Kennzeichnungen nach der CLP-Verordnung. Hierzu hat das BMAS im Gemeinsamen Ministerialblatt (GMBl Nr. 1 S. 13 (22.01.2009)) eine Bekanntmachung zur Anwendung der Gefahrstoffverordnung und der Technischen Regeln nach Inkrafttreten der CLP-Verordnung veröffentlicht: Danach werden in der Gefahrstoffverordnung übergangsweise die Bezüge zur Einstufung nach den Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG, die erst zum 01. Juni 2015 außer Kraft treten, beibehalten.
Mit diesem Vorgehen bleiben das bisherige System und Schutzniveau zunächst erhalten. Dies gilt auch für die bestehenden Technischen Regeln, die unabhängig von kurzfristig erforderlichen formalen Anpassungen zunächst unverändert Anwendung finden.
Zur Konkretisierung dieser Bekanntmachung des BMAS hat ein Arbeitskreis des AGS eine Hilfestellung zur „Anwendung der GefStoffV und der TRGS mit dem Inkrafttreten der CLP-Verordnung“ erarbeitet, die in der Novembersitzung des AGS verabschiedet wurde und in Kürze als Bekanntmachung 408 des AGS im Gemeinsamen Ministerialblatt veröffentlicht wird. Sie erläutert Maßnahmen und Vorgehensweisen bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen die während der Übergangsfristen zu berücksichtigen sind und unterstützt den Arbeitgeber während des Umstellungsprozesses im Hinblick auf den Arbeitsschutz. Die Bekanntmachung enthält u. a. Aussagen zu den folgenden Punkten:
- Unterweisung der Beschäftigten bzgl. der neuen Einstufung und Kennzeichnung,
- Gefahrstoffverzeichnis,
- Betriebsanweisung,
- innerbetriebliche Kennzeichnung von Vorratsbehältern (z. B. in Labors, Chemikalienlagern usw.),
- Kennzeichnung von Rohrleitungen, Reaktoren.
Rückblick auf die Gefahrstoff- verordnung 2005
Mit der Gefahrstoffverordnung 2005 wurde das sogenannte Schutzstufenkonzept eingeführt. Grundgedanke bei der Erstellung der GefStoffV 2005 war es, Schutzmaßnahmenpakete an die Kennzeichnung der Gefahrstoffe anzubinden. Dies war als Einstiegshilfe und Erleichterung für den Arbeitgeber gedacht. Dabei wurde danach differenziert, ob ein Gefahrstoff mit dem Totenkopfsymbol gekennzeichnet ist oder nicht. Mit dem Totenkopfsymbol sind nach dem bisherigen Kennzeichnungssystem giftige und sehr giftige sowie krebserzeugende, erbgutverändernde und fortpflanzungsgefährdende (CMR; Kategorien 1 und 2) Stoffe und Zubereitungen zu kennzeichnen. Dem Arbeitgeber stand damit ein einfaches und unmittelbar erkennbares Kriterium zur Verfügung um festzustellen welche Maßnahmen mindestens anzuwenden sind.
Schutzstufen und EG-GHS
Dieses sehr einfache Konzept in der Gefahrstoffverordnung kann aber vor dem Hintergrund der CLP-Verordnung nicht aufrecht erhalten werden. Die Neuerungen im EG-Einstufungs- und Kennzeichnungssystem sind nicht mehr kompatibel mit dem kennzeichnungsbezogenen Ansatz des derzeitigen Schutzstufenkonzepts der GefStoffV. Nach der CLP-Verordnung werden nämlich nur noch akut toxische Stoffe (EG-GHS-Kategorien 1, 2, 3) mit dem Totenkopfsymbol gekennzeichnet. CMR-Stoffe erhalten als Kennzeichen das „Korpussymbol“.
Dies gilt auch für die CMR-Verdachtsstoffe (bisher Kategorie 3 und mit Xn gekennzeichnet). Ferner findet das „Korpussymbol“ auch bei anderen Gefahreneigenschaften wie Atemwegssensibilisierung, Aspirationsgefahr oder Zielorgantoxizität Anwendung. Für die reibungslose Integration des EG-GHS-Systems in den betrieblichen Arbeitsschutz müssen daher die bisherige Kopplung der Schutzstufen an die Kennzeichnung aufgehoben und die Schutzmaßnahmenpakete entsprechend angepasst werden. Tabelle 1 zeigt – vereinfacht – die mit Inkrafttreten der CLP-Verordnung erfolgten Veränderungen, die eine Entkopplung der Schutzstufen von der Kennzeichnung erforderlich machen.
Schutzstufen und Erfahrungen aus der Praxis
Darüber hinaus haben Erfahrungen aus der Praxis gezeigt, dass die Anbindung an die Kennzeichnung in der Vergangenheit auch zu Fehlinterpretationen geführt hat: Denn nicht bei jeder Tätigkeit mit einem Totenkopf-Stoff muss auch eine hohe Gefährdung der Beschäftigten vorliegen und andererseits kann umgekehrt bei Tätigkeiten mit Stoffen, die diese Kennzeichnung nicht tragen, die Gefährdung dennoch hoch sein. Eine schematische Anwendung des Schutzstufenkonzeptes ist deshalb nicht zielführend, da sie die Gefahr birgt, dass bei der Gefährdungsbeurteilung nicht alle verfügbaren Informationen Berücksichtigung finden.
Die Arbeiten an der Neufassung der Gefahrstoffverordnung wurden vom Ausschuss für Gefahrstoffe (AGS) mit einem eigenen Arbeitskreis begleitet. Auch aus diesem Kreis wurde der Vorschlag zur Anpassung des Schutzstufenkonzeptes sowie zu einer stärkeren Differenzierung zwischen im Arbeitsschutz allgemein gültigen Grundpflichten der Arbeitgeber einerseits und am Ausmaß der Gefährdung orientierten Schutzmaßnahmen andererseits unterbreitet.
Diese Überlegungen wurden aufgegriffen. Danach wird es weiterhin Schutzmaßnahmenpakete geben, die wie bisher aufeinander aufbauen. Sie werden jedoch keine unmittelbare Verbindung zur Kennzeichnung mehr aufweisen. Dadurch werden sie zum einen unabhängig von fortlaufenden Änderungen des GHS-Systems, die auf UN-Ebene erfolgen, und zum anderen bieten sie dem Arbeitgeber einen gut strukturierten Rahmen für die Anwendung der GefStoffV.
Schutzstufen und Risikokonzept des AGS zu krebserzeugenden Stoffen
Die Aufhebung der Anbindung der Schutzmaßnahmenpakete an die Kennzeichnung ist gleichzeitig auch eine Voraussetzung für die Umsetzung des vom AGS erarbeiteten Risikobewertungskonzeptes für krebserzeugende Stoffe (Bekanntmachung 910 des AGS). Es legt stoffübergreifende Grenzrisiken (Akzeptanz- und Toleranzrisiko) fest. Das jeweils am Arbeitsplatz bestehende Risiko wird mit Hilfe dieser Grenzrisiken entweder als akzeptabel (grün), tolerabel aber nicht akzeptabel (gelb) oder nicht tolerabel (rot) festgelegt (Ampelmodell).
Integriert in das Risikokonzept sind generelle, gestufte Maßnahmenfestlegungen für die drei Risikobereiche. Damit wird für Arbeitsplätze, an denen eine Exposition gegenüber krebserzeugenden Stoffen unvermeidlich ist, eine differenzierte Risikobewertung möglich. Auf Basis des Risikokonzeptes, das derzeit praktisch erprobt wird, werden zur Zeit im AGS stoffspezifische Konzentrationswerte für relevante krebserzeugende Stoffe abgeleitet.
Es ist beabsichtigt, das Konzept, sofern es sich in der Praxis bewährt und Akzeptanz gefunden hat, zu einem späteren Zeitpunkt in die Gefahrstoffverordnung zu integrieren.
Überblick über die Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung und zu den Schutzmaßnahmen
In Tabelle 2 wird ein Überblick über die Struktur der Regelungen zur Gefährdungsbeurteilung und zu den Schutzmaßnahmen im Entwurf zur Neufassung der Gefahrstoffverordnung gegeben.
Fazit und Ausblick
Mit der Neufassung der Gefahrstoffverordnung wird praxisgerecht und zeitnah auf die EU-weit veränderten chemikalienrechtlichen Rahmenbedingungen reagiert. Zur Erleichterung für die Praxis bleiben Systematik und der Aufbau der Gefahrstoffverordnung 2005 weitgehend erhalten, so dass die Änderungen überschaubar bleiben. Insbesondere die gestuften Schutzmaßnahmenpakete werden beibehalten. Dabei hat die Entkopplung der Schutzmaßnahmenpakete von der Kennzeichnung den Vorteil, dass die Gefährdungsbeurteilung in den Fokus rückt und deren lediglich schematische Durchführung erschwert wird – was zu einer Stärkung der Arbeitgeberverantwortung führt. Die vorgenommenen Anpassungen und Neustrukturierungen erleichtern den Übergang vom bisherigen Einstufungs- und Kennzeichnungssystem zum neuen EG-GHS-System und verbessern gleichzeitig die Anwendbarkeit der Verordnung.
Der Referentenentwurf befindet sich zur Zeit in der Abstimmung mit den Verbänden sowie mit den Aufsichtsbehörden der Länder und der DGUV. Erste eingegangene Stellungnahmen zeigen deutliche Zustimmung zum vorgelegten Referentenentwurf. Anfang 2010 erfolgt die Abstimmung innerhalb der Bundesregierung. Ein Inkrafttreten der neuen Gefahrstoffverordnung wird für Mitte 2010 angestrebt.
Autoren
Dr. Astrid Smola Regierungsdirektorin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat IIIb3 „Gefahrstoffe, Chemikaliensicherheit, Bio- und Gentechnik, Betriebs- und Anlagensicherheit“ E‑Mail: astrid.smola@bmas.bund.de
Dr. Heiner Wahl Referent im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Referat IIIb3 „Gefahrstoffe, Chemikaliensicherheit, Bio- und Gentechnik, Betriebs- und Anlagensicherheit“ E‑Mail: heiner.wahl@bmas.bund.de
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CMR-Gefahrstoffe der Kat. 1A oder 1B stellen unter den Gefahrstoffen die höchste Gesundheitsgefahr dar, weshalb die Gefahrstoffverordnung in § 10 besondere Schutzmaßnahmen für diese Stoffe vorschreibt.
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