Es gibt in Deutschland für berufsbedingte Unfälle von Arbeitnehmern und Beamten zwei unterschiedliche Sicherungssysteme. Arbeitnehmer sind in der gesetzlichen Unfallversicherung nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) VII versichert und erleiden Arbeitsunfälle. Bei Beamten spricht man dagegen von Dienstunfällen. Sie unterliegen der Unfallfürsorge nach dem Beamtenversorgungsgesetz. Diese Trennung macht sich auch auf der Rechtsschutzseite bemerkbar.
In Rechtsstreitigkeiten, die Ansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung zum Gegenstand haben, entscheidet die Sozialgerichtsbarkeit, für Ansprüche aus der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig. Und obwohl die gesetzlichen Tatbestände von Arbeitsunfall und Dienstunfall sehr ähnlich sind, ist die Rechtsprechung der Sozial- und Verwaltungsgerichte mitnichten einheitlich. Identische Lebenssachverhalte werden bisweilen rechtlich unterschiedlich bewertet. In seinem als Doktorarbeit vorgelegten Buch „Arbeitsunfall und Dienstunfall“ untersucht der Autor Gerd Giesen die unterschiedlichen Sicherungssysteme und nimmt eine grundlegende Gegenüberstellung der Rechtslage vor.
Aufbau und Gliederung
Giesen geht dabei in drei Schritten vor. Im ersten Kapitel vergleicht er die Grundtatbestände des Arbeits- und Dienstunfalls sowie des Wegeunfalls und beleuchtet die Gegensätze in der Rechtsprechung der Sozial- und Verwaltungsgerichte auf dem Gebiet einzelner und besonders strittiger Themenkomplexe. Im zweiten Kapitel arbeitet er die Auswirkungen auf die unfallbezogene Absicherung für beide Berufsgruppen heraus und überprüft Begründungsansätze aus Rechtsprechung und Literatur auf ihre Kohärenz und Stichhaltigkeit.
Im dritten Kapitel stellt der Autor Überlegungen an, wie zukünftig eine weitgehende Harmonisierung bei der gerichtlichen Anerkennung von Arbeits- und Dienstunfällen erzielt werden könnte, um ein höheres Maß an Rechtseinheit im Arbeits- und Dienstunfallrecht zu erreichen. Im Ergebnis plädiert er für eine weitgehende Maßstabsbildung anhand des Unfallversicherungsrechts.
Unterschiede und Benachteiligung
Die Arbeit Giesens deckt erhebliche Differenzen in der Rechtsprechung der Sozial- und Verwaltungsgerichte auf. Verschluckt sich zum Beispiel ein Beamter beim Mittagessen in der Kantine und erleidet daraufhin einen Erstickungsanfall, so ist nach der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung ein Dienstunfall gegeben. Dagegen ist nach Auffassung der Sozialgerichte für Arbeitnehmer die Nahrungsaufnahme eine sogenannte eigenwirtschaftliche Tätigkeit, die nicht versichert ist. Ebenso ist der Beamte, der sich bei einer freiwillig vorgenommenen Schutzimpfung während der Dienstzeit einen Schaden zuzieht, im Vorteil gegenüber dem Arbeitnehmer: Dieser ist hier nicht versichert. Auch beim Toilettengang steht der Beamte besser da. Während der Arbeitnehmer nur auf dem Weg zur Toilette gesetzlich versichert ist, umfasst der Dienstunfallschutz für den Beamten auch den Aufenthalt im Toilettenraum. Dafür sind Arbeitnehmer während der Telearbeit besser geschützt. Auch bei Wegeunfällen gibt es Unterschiede. Unter dem Strich kann nach Auffassung von Giesen im Hinblick auf das gewährte Schutzniveau aber keine Bevorzugung beziehungsweise Benachteiligung von Arbeitnehmern oder Beamten ausgemacht werden.
Fazit
Gerd Giesen hat durch seine extensive Auswertung von Rechtsprechung und Literatur eine gelungene und lesenswerte Untersuchung des Unfallversicherungs- und Unfallfürsorgerechts vorgelegt. Dabei hat er die Unterschiede zwischen Sozial- und Verwaltungsgerichtsbarkeit hinsichtlich der Anerkennung von Arbeits- und Dienstunfällen übersichtlich herausgearbeitet. Ein gut lesbares Buch, das jedem an den unterschiedlichen Sicherungssystemen Interessierten zur Lektüre empfohlen werden kann.
Giesen, Gerd: Arbeitsunfall und Dienstunfall Zur Reichweite des Unfallschutzes von Arbeitnehmern und Beamten nach § 8 SGB VII und § 31 BeamtVG. Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht (SAR), Band 339, 2017, 242 Seiten,
ISBN 978–3–428–15106–6
Autorin: Tanja Sautter
Juristin BG Verkehr,
Dienststelle Unfallfürsorge, Tübingen
Tanja.Sautter@web.de
Giesen, Gerd: Arbeitsunfall und Dienstunfall Zur Reichweite des Unfallschutzes von Arbeitnehmern und Beamten nach § 8 SGB VII und
§ 31 BeamtVG. Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht (SAR), Band 339, 2017, 242 Seiten,
ISBN 978–3–428–15106–6
Zum Autor
Gerd Giesen studierte Rechtswissenschaften in Freiburg. Anschließend arbeitete Giesen als geprüfter Rechtskandidat beim Deutschen Bundestag und als Rechtsreferendar am Kammergericht Berlin mit Stationen im BMAS und in der Konzernzentrale der Deutschen Bahn AG.