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Risiken durch KI-Anwendungen im Arbeitsschutz

Arbeitsschützer, bleib wachsam!
Risiken durch KI-Anwendungen im Arbeitsschutz

Risiken durch KI-Anwendungen im Arbeitsschutz
Foto: © Esfandjar – stock.adobe.com
Die faszinieren­den Fähigkeit­en kün­stlich­er Intel­li­genz lassen sich auch für Arbeitssicher­heit und Gesund­heitss­chutz nutzen. Doch bei aller Begeis­terung ist ein bedacht­es Vorge­hen anger­at­en. Denn es lauern diverse Tück­en, Fall­stricke und Recht­sun­sicher­heit­en. Nach den Chan­cen für KI im ersten Teil (Sicher­heitsin­ge­nieur 10/2023) geht es im Fol­gen­den um die Risiken durch KI-Anwen­dun­gen im Arbeitsschutz.

KI ist nicht gle­ich KI. Musterken­nung oder Sprachver­ar­beitung, Deep Learn­ing oder autonomes Fahren, dig­i­taler Zwill­ing oder kün­stlich­es neu­ronales Netz – KI zeigt sich in vie­len unter­schiedlichen For­men. Daher sind die Risiken durch KI-Anwen­dun­gen dif­feren­ziert zu betra­cht­en und pauschale Bedro­hungsszenar­ien genau­so wenig hil­fre­ich wie naiv­er Enthu­si­as­mus. Einige der disku­tierten Gefahre­naspek­te betr­e­f­fen auch den Arbeitsschutz.

Datenqualität

KI lebt von Dat­en. Dat­en kön­nen falsch gemessen, falsch kat­e­gorisiert oder zu sehr vere­in­facht sein, all dies verz­er­rt ihre Auswer­tung. Fehler­hafte, unvoll­ständi­ge oder ein­seit­ige Daten­sätze ver­fälschen das – ver­meintlich exak­te und wert­neu­trale – Ergeb­nis der KI. Das kann fatale Fol­gen haben, wenn es um Dat­en von Men­schen geht – Geschlecht, Alter, Herkun­ft –, wie Fälle von Diskri­m­inierung durch KI zeigen.

Mit dem Trend zur umfassenden Ver­net­zung kön­nen Arbeitss­chutz-Dat­en zu Gesund­heit, Ergonomie, Arbeit­szeit­en, Arbeit­sun­fällen, Fehlzeit­en in immer kom­plex­eren Soft­waresys­te­men erfasst und – die smarte Fab­rik und das „Inter­net der Dinge“ lassen grüßen – mit Dat­en aus der Pro­duk­tion, etwa Maschi­nen­durch­satz, Stör­fälle, Fehlbe­di­enun­gen, verknüpft werden.

Das kann in der Tat helfen, Prozesse zu opti­mieren und Unfallschw­er­punk­te zu analysieren. Doch eine solche unternehmensweite KI wird enorm mächtig und für den Anwen­der undurch­schaubar. Fehlschlüsse und falsche Kor­re­la­tio­nen sind wed­er erkennbar noch für den Men­schen nachvollziehbar.

Datenschutz

KI bet­rifft häu­fig Per­sön­lichkeit­srechte. Sobald ein KI-Sys­tem per­so­n­en­be­zo­gene Dat­en nutzt, müssen Sie Vor­gaben zum Daten­schutz beacht­en. Im März 2023 gab es beim derzeit bekan­ntesten Chat­bot Chat­G­PT eine Daten­panne und pri­vate Chatver­läufe waren für andere Nutzer sicht­bar. Daten­schutzan­forderun­gen gel­ten jedoch auch dann, wenn eine KI „nur“ unternehmensin­tern läuft.

Im Arbeitss­chutz und beim Betrieb­sarzt kom­men jede Menge Dat­en zusam­men. Andere Dat­en wer­den so ganz neben­bei erfasst. Nicht nur durch Com­put­er und Dienst-Handys, auch durch Per­so­nen­notr­u­fan­la­gen, Piepser, Ortungs­di­en­ste, Fir­men­fahrzeuge und nicht zulet­zt die Arbeit­szeit­er­fas­sung – haben Sie noch den Überblick, wie viele dig­i­tale Spuren Sie jeden Tag hinterlassen?

Kom­biniert mit Unfal­lauswer­tun­gen, bio­metrischen Dat­en, Ergonomie-Befun­den, PSA-Nutzung, aber auch Fehlzeit­en­sta­tis­tiken kön­nte eine Auswer­tung diese Datens(ch)ätze durch eine KI für den Arbeit­ge­ber hochin­ter­es­sant sein. Man wird sehen, inwiefern heutige Nutzungs­gren­zen aus der DSGVO aus­re­ichend wirk­sam bleiben oder ob betrieblich­er Gesund­heitss­chutz als Argu­ment dienen wird, den Schutz per­so­n­en­be­zo­gen­er Dat­en über Aus­nah­metatbestände aufzuweichen.

KI in Arbeitssicher­heit und Gesundheitsschutz

Datensicherheit

Sobald Dat­en über Serv­er in den USA oder schlim­mer laufen, wird es kri­tisch. US-Sicher­heits­be­hör­den haben weitre­ichende Zugriff­s­rechte auf Datenbestände, die in den USA ver­ar­beit­et wer­den. Auch die Daten­sicher­heit ist bedro­ht, denn Ihre Dat­en wer­den keineswegs nach Aus­gabe des Ergeb­niss­es gelöscht, son­dern – genau das macht eine der Stärken der KI aus – zum weit­eren Train­ing genutzt.

Wer hier unternehmensin­terne Infor­ma­tio­nen ein­gibt – was beispiel­sweise beim Evaluieren für Forschung und Entwick­lung dur­chaus nüt­zlich sein kön­nte –, sollte sich darüber im Klaren sein, dass er diese Dat­en damit qua­si als Train­ings­dat­en für die Konkur­renz freigibt.

Überwachung

Beim Umgang mit Risiken und Gefahren sind Kon­trollmech­a­nis­men unverzicht­bar. Vorschriften, Gren­zw­erte, Tragege­bote für PSA oder Erlaub­nisver­fahren – ein gewiss­es Maß an Überwachung gehört zum Arbeitss­chutz selb­stver­ständlich dazu. Ger­ade in sicher­heit­skri­tis­chen Bere­ichen haben wir uns an Zutrittskon­trol­lver­fahren oder Überwachungskam­eras gewöhnt.

Doch wo in ein­er Arbeit­sumge­bung – und auch weitab von Sicher­heits­bere­ichen – immer mehr Randbe­din­gun­gen und Vorgänge dig­i­tal erfasst, gespe­ichert und per KI ver­ar­beit­et wer­den, wird der Grat zwis­chen Sicher­heits­bedürfnis­sen und Arbeit­ge­ber­für­sorge ein­er­seits und ein­er lück­en­losen und unzuläs­si­gen Überwachung ander­er­seits immer schmäler. Fachkräfte für Arbeitssicher­heit wer­den sich diesen Diskus­sio­nen nicht entziehen können.

Missbrauch

Wie jede Tech­nolo­gie kann KI miss­braucht wer­den. Schon heute brin­gen mit KI manip­ulierte Videos auf YouTube Mil­lio­nen von Klicks, denn Fake News gener­ieren Ein­nah­men. Auch Hack­er prof­i­tieren von Werkzeu­gen wie Chat-GPT, das Bekämpfen von Cyberkrim­inellen wird anspruchsvoller.

Doch die Bedro­hung muss nicht immer von außen kom­men: Wenn gemäß dem „Inter­net der Dinge“ (IoT) alle Arbeitsmit­tel, Gegen­stände, Stoffe usw. mit Sicher­heit­srel­e­vanz iden­ti­fizier­bar und ver­fol­gbar wer­den, bietet das viele Ansatzpunk­te für die Arbeitssicher­heit. Das Bedürf­nis nach Sicher­heit darf jedoch nicht als Argu­ment miss­braucht wer­den, um eine „gläserne Arbeitswelt“ (siehe Abschnitt „Überwachung“) zu generieren.

 

Smarte Überwachung kann ein trügerisches Sicherheitsgefühl vermitteln
Smarte Überwachung kann ein trügerisches Sicher­heits­ge­fühl ver­mit­teln.
Foto: © Anto­nio­Di­az – stock.adobe.com

Mensch und KI – geht das zusammen?

Wie sich der Ein­satz von KI mit­tel­fristig auf uns Men­schen, Gesellschaft und Arbeitswelt auswirken wird, ist schw­er vorauszuse­hen. Aber aus dem Wech­sel­spiel von KI mit men­schlichem Ver­hal­ten kön­nten sich uner­wün­schte Effek­te ergeben, auch sicher­heit­srel­e­vante, hier einige Beispiele:

Abgeben von Ver­ant­wor­tung: Je mehr wir durch smarte Tech­nik unter­stützt und überwacht und vor jed­er Gefahr gewarnt wer­den, desto leichtsin­niger wer­den wir. Seit­dem jed­er Pkw ein Navi hat, benötigt man keine papierne Karten mehr im Wagen, viele „dig­i­tal natives“ kön­nten sie eh nicht lesen. Hat man sich früher vorm Urlaub wenig­stens ein paar Sätze ein­er Fremd­sprache angeeignet, ver­lässt man sich heute auf Über­set­zungs-Apps. Eine Frage für Arbeitss­chützer muss laut­en: Wo gehen in ähn­lich­er Weise „natür­liche Sicher­heit­skom­pe­ten­zen“ ver­loren, wenn wir uns mehr und mehr auf eine allum­fassende Überwachung und Betreu­ung durch intel­li­gente Tools verlassen?

Vor­getäuschte Sicher­heit: Wenn immer mehr betriebliche Prozesse durch eine automa­tisierte, KI-basierte Entschei­dungs­find­ung ges­teuert wer­den, kann das zweifel­los der Effizienz und der Sicher­heit zugutekom­men. Das ist aber kein Naturge­setz, son­dern muss in jedem Fall – und immer wieder aufs Neue – kri­tisch hin­ter­fragt wer­den. Auf keinen Fall darf auch ein noch so leis­tungs­fähiges, sen­sorgestütztes und ver­net­ztes Sys­tem dazu führen, dass Beschäftigte men­tal die Ver­ant­wor­tung für ihre eigene Sicher­heit abgeben. Acht­en Sie darauf, dass smarte Überwachung niemals zu einem falschen Sicher­heits­ge­fühl und damit zu Leichtsinn verleitet.

Stress: Wenn eine KI betriebliche Prozesse effizien­ter steuert, kann dies zur Arbeitsverdich­tung führen und damit den Stress erhöhen. Wo man früher über eine gele­gentliche Zwangspause froh war, weil irgend­wo irgen­det­was zum Arbeit­en fehlte, fall­en solche Freiräume weg, wenn alle Mate­ri­alflüsse und Ein­satz­pläne intel­li­gent ges­teuert werden.

Entqual­i­fizierung und Ent­men­schlichung: In immer smarter und automa­tisiert­er ges­teuerten Arbeit­sumge­bun­gen ist nicht nur mit Verun­sicherung und Job-Äng­sten zu rech­nen. Auch das Gefühl ständi­ger Überwachung und eines Aus­geliefert­seins an emo­tion­slose Sys­teme kann für den Einzel­nen sehr belas­tend wer­den. Der Ver­lust von Kon­trolle und Autonomie führt leicht zu Res­ig­na­tion, es dro­hen innere Kündi­gung und Depression.

Steigende Tech­nolo­gieab­hängigkeit kann mit­tel­fristig eine „Entqual­i­fizierung“ her­vor­rufen, die eige­nen beru­flichen Fähigkeit­en wer­den – ger­ade durch KI – mehr und mehr abgew­ertet. Mögliche gesellschaftliche Fol­gen sind noch gar nicht abzuse­hen. Selb­st die OSHA, die Europäis­che Agen­tur für Sicher­heit und Gesund­heitss­chutz am Arbeit­splatz, spricht vom Risiko ein­er „dehu­man­iza­tion“, ein­er „Ent­men­schlichung“ der Arbeit.

Bleiben Sie aufmerksam!

Eine KI ist nicht ein­fach nur eine neue Soft­ware. Wenn kün­stlich intel­li­gente Sys­teme Entschei­dun­gen über Men­schen und Arbeit­sprozesse tre­f­fen, benötigt dies einen Ord­nungsrah­men und Kon­trollmech­a­nis­men – auch in einem Unternehmen. Derzeit ver­sucht man – unter anderem mit der KI-Verord­nung der EU – die vie­len noch offe­nen ethis­chen Fra­gen zum Ein­satz von KI zu klären und zu reg­ulieren. Dabei geht es um Aspek­te, die per se den Arbeitss­chutz eng berühren wie Vor­ein­genom­men­heit und Diskri­m­inierungs­frei­heit, Zuver­läs­sigkeit und Trans­parenz, Fair­ness und Menschenwürde.

Seien Sie immer dann beson­ders skep­tisch, wenn eine KI Ihre Prob­leme zu lösen ver­spricht. Dig­i­tale Werkzeuge kön­nen wun­der­bar funk­tion­ieren, wir alle nutzen sie. Mehr und mehr find­et auch KI ihren Einzug in unsere Arbeit­sprozesse, ob wir das bemerken oder nicht. Aber dig­i­tale Lösun­gen haben längst nicht alle ihrer Ver­sprechun­gen einge­hal­ten. Erin­nert sei nur an das papier­lose Büro, seit den 1960er Jahren voraus­ge­sagt, aber bis heute sehr schlep­pend und noch längst nicht über­all umge­set­zt. Autonomes Fahren soll laut Tes­la-Chef Elon Musk in zwei Jahren tech­nisch möglich sein. Das klingt pri­ma, ver­liert jedoch an Fasz­i­na­tion, wenn man weiß, dass diese Prog­nose aus dem Jahr 2015 stammt.

Wir begin­nen erst allmäh­lich zu ver­ste­hen, wie sich die vie­len neuen „Intel­li­gen­zen“ auf unser Arbeit­en und Zusam­men­leben auswirken wer­den. Ähn­lich wie beim WWW, bei Handys oder bei Social Media wer­den sich Fehlen­twick­lun­gen und Neben­ef­fek­te (siehe Spam, Phish­ing, Online-Sucht, Cyber­mob­bing und vieles andere) auch bei KI erst nach und nach zeigen. Und wie so oft: Die Reg­ulierung hinkt der tech­nis­chen Dynamik hinterher.

Daher bleiben Sie – pri­vat wie als betrieblich­er Arbeitss­chützer – wach­sam. KI kann vieles, aber ist nicht immer die Lösung, für die sie gehal­ten wird. Eine KI-gestützte Arbeitss­chutz-Soft­ware mag ver­sprechen, Ihnen die Organ­i­sa­tion des betrieblichen Arbeitss­chutzes abzunehmen. Aber vergessen Sie nie, dass auch eine visuell noch so beein­druck­ende KI-Auswer­tung auf Ihrem Mon­i­tor allein auf Math­e­matik, Algo­rith­men und Pro­gramm­code beruht. Nutzen Sie KI, aber unter Auf­sicht. Hän­gen Sie Ihre Kom­pe­tenz, Intu­ition und Erfahrung als Arbeitss­chützer und Men­sch niemals an den Nagel.


Autor: Dr. Fried­helm Kring
Redak­tions­büro BIOnline
www.bionline.de
 
Foto: © privat
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