Haftung setzt voraus, dass die eingetretene Rechtsgutsverletzung durch die zu beurteilende rechtswidrige Handlung verursacht worden ist. Juristische Personen „können Arbeitsunfälle nicht selbst verursachen. Eine Verursachung kann nur durch die für sie handelnden Personen erfolgen“ [1].
- Ursächlich ist jedes Verhalten, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Unfall bzw. der Schaden entfiele (naturwissenschaftliche Betrachtungsweise)
- Zugerechnet werden kann jedes einen Unfall bzw. Schaden verursachende Verhalten, wenn es nach rechtlichen Wertungen „Werk des Täters“ ist und nicht Zufall oder Werk des Opfers oder eines Dritten (normative Betrachtungsweise)
Bedingungs- oder Äquivalenzformel
Haftung erfordert sogenannte haftungsbegründende Kausalität. Das ist eine faktische, empirische Frage und eine naturwissenschaftliche Kategorie: „Hättest du das nicht getan, wäre das nicht passiert.“ [2] „Bei der Prüfung der Ursächlichkeit des Pflichtenverstoßes ist hypothetisch zu fragen, was geschehen wäre, wenn sich der Täter pflichtgemäß verhalten hätte.“ [3]
Bei der Kausalität wenden Juristen die Bedingungs- oder Äquivalenztheorie an – sie hat folgende Formel: „Ursache ist jede Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele“ [4]. Man redet von der Conditio-sine-qua-non-Formel. „Der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen Unfallereignis und Gesundheitsbeeinträchtigung besteht nach der Äquivalenztheorie, wenn der Unfall im Sinne einer conditio sine qua non nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Gesundheitsschaden entfiele.“ [5] „Dabei ist gleichgültig, ob neben dieser Bedingung noch andere Umstände zur Herbeiführung des Erfolges mitgewirkt haben.“ [6]
Das klingt in den Haftungsurteilen nach (Arbeits-)Unfällen dann so:
- „Wäre der Schutzschalter aktiviert gewesen, hätte sich die Maschine nicht weiterbewegt, sobald die Türe geöffnet wird“ – und der Unfall wäre nicht geschehen [7].
- „Es wird bei einem Verstoß gegen Unfallverhütungsvorschriften prima facie [8] vermutet, dass es bei Beachtung der Schutzvorschrift nicht zu der Verletzung gekommen wäre, wenn sich – wie hier – in dem Unfall gerade die Gefahr verwirklicht hat, deren Eintritt die Vorschrift verhindern wollte. Sinn und Zweck der jährlichen Sicherheitsüberprüfung ist es, die Funktionstüchtigkeit der sicherheitsrelevanten Einrichtungen zu gewährleisten, um deren Ausfall und damit einhergehende Unfälle zu verhindern“ [9].
- Im Strafurteil gegen den ersten Fahrdienstleiter F nach dem Transrapid-Unglück heißt es: „Die vom Angeklagten F erteilte Fahrtfreigabe kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der tatbestandliche Erfolg, der Tod von 23 Menschen und die Verletzung von elf Menschen, auf Grund der Kollision vom 22.09.2006 entfiele“. Zu seinem vorgesetzten Betriebsleiter B hieß es: „Ebenso kann eine ordnungsgemäße Überwachung des Angeklagten F durch den Angeklagten B nicht hinzugedacht werden, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfiele“ [10].
Unterschriften sind schadenskausal
Immer wieder verkannt wird, dass eine Unterschrift allein nicht unfallverursachend ist und daher allein nicht haftungsauslösend sein kann. Der Unterzeichner einer EU-Konformitätserklärung kann allein wegen dieser Unterschrift nicht haften. Formalitäten allein begründen keine Haftung [11]. Nur wer materielle Sicherheitspflichten verletzt, kann haften [12].
In diesem Sinne sagt das Landgericht Köln nach einem Baggerunfall zu einem formellen Fehler des SiGe-Planes, es „erschließt sich ein Zusammenhang mit dem Unfall nicht. Zu diesem kam es aufgrund des grob fahrlässigen Verhaltens mindestens zweier am Bau tätigen Personen, und nicht aufgrund möglicher formeller Fehler in einem Sicherheitsplan“ [13].
Urteile zu Sicherheitsfachkräften
Zu Fachkräften für Arbeitssicherheit [14] heißt es, „es wird sich kaum feststellen lassen, dass die Handlung, die von Arzt oder Sicherheitsfachkraft zu fordern war und zu der sie Möglichkeit hatten (nämlich Vorschläge, Mitteilungen, Hinweise usw.), mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bei Vornahme den Erfolg verhindert hätte“ [15]. So sind Sicherheitsfachkräfte in den drei Fällen – „Kreissäge“, „Schlacketransporter“ und Wärmematte“ – freigesprochen worden [16].
Aber unmöglich ist die Annahme der Kausalität einer ihrer Pflichtverletzungen nicht. Im Fall „Schlackenkübel“ nahm das Amtsgericht Kehl dagegen Kausalität an – aber eher in Form einer Behauptung denn mit Begründung: „Hätte der Angeklagte die entsprechenden Informationen seinem Vorgesetzten gegeben, so hätte dieser entsprechende Vorkehrungen treffen können, wie es auch heute der Fall ist“.
Mitursächlichkeit reicht
Der BGH hält fest, dass „Mitursächlichkeit ausreichend“ für die Haftung ist [17]. Nach der Freigabe unsicherer Autoreifen durch einen Entwicklungsleiter sagte das Landgericht München zu dessen Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung: „Im Sinn der Bedingungstheorie ist die Freigabehandlung für die Unfälle kausal geworden. Die Kausalität des Handelns des Angeklagten wird auch nicht durch möglicherweise hinzutretende andere Ursachen, nicht einmal durch vorsätzliches oder fahrlässiges Verhalten des Opfers selbst beseitigt. Im Sinne der Kausalitätstheorie würde es genügen, dass die Handlung des Angeklagten eine Ursache des Erfolgs war. Sie bräuchte nicht einmal die Hauptursache gewesen zu sein“ [18].
Die Mitursächlichkeit anderer Verantwortlicher wird dann aber bei der Strafzumessung berücksichtigt – etwa nach der Gasexplosion bei einer Bäckerei in Lehrberg bei der Verurteilung des Monteurs: Strafmildernd „zu Gunsten des Angeklagten“ wirkte, dass andere „Umstände (Anregung der Feuerwehr zum Ausschalten der Werbetafel sowie unterbliebene Evakuierung der getöteten und verletzten Personen) zu den Folgen der Tat beigetragen haben können“ [19].
Naturgesetzliche Kausalität kann uferlos sein. Es „kommen oftmals auch zeitlich weit zurückliegendes Verhalten in Betracht“ [20] – etwa Jahre nach Inverkehrbringen eines Produkts oder Jahrzehnte nach Planung eines Gebäudes, sodass (wie nach dem Einsturz der Eishalle in Bad Reichenhall) eine Haftung des Architekten mehr als 33 Jahre später möglich ist [21]. Daher erfolgt eine Korrektur und es gibt eine weitere Haftungsvoraussetzung: das Erfordernis des sogenannten Zurechnungszusammenhangs.
Literaturhinweise:
LAG Köln, Urteil v. 03.08.2011 (Az. 9 Sa 1469/10).
Stefan Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl. 2000, §4 Rn. 9, S. 25.
BGH, Urteil v. 19.04.2000 (Az. 3 StR 442/99).
BGH, Urteil v. 28.09.1951 (Az. 2 StR 391/51).
BGH, Urteil v. 19.10.2016 (Az. IV ZR 521/14) – für das Zivilrecht.
BGH, Urteil v. 30.03.1993 (Az. 5 StR 720/92) – für das Strafrecht.
LG Rottweil, Fallbesprechung Nr. 8 „Drehmaschine“, Arbeitsschutz-Strafrecht, 2020, S. 214 ff.
Das heißt: „auf den ersten Blick“, „dem
ersten Anschein nach“ – und wird juristisch „Anscheinsbeweis“ genannt.
LG Paderborn, Fallbesprechung Nr. 24 „Lastenaufzug“ in Wilrich, Sicherheitstechnik und Maschinenunfälle vor Gericht, 2022, S. 143 ff.
LG Osnabrück, Urteil v. 11.04.2011 (Az. 10 KLs/730 Js 43466/08 – 8/09) – Urteilsbesprechung in Wilrich, Technik-Verantwortung, 2022.
Siehe auch Wilrich, Produktsicherheitsrecht und CE-Konformität – Hersteller‑, Importeur- und Händler-Pflichten für Technik- und Verbraucherprodukte bei Risikobeurteilung, Konstruktion, Warnhinweisen und Vertrieb, 2021.
Ausführlich Wilrich, Technik-Verantwortung – Sicherheitspflichten der Ingenieure, Meister und Fachkräfte und Organisation und Aufsicht durch Management und Führungskräfte, 2022.
Fallbesprechung Nr. 9 „Baggerunfall Köln“ in Wilrich, Bausicherheit, 2021. S. 176 ff.
Zu ihnen Wilrich, Verantwortung und Haftung der Sicherheitsingenieure: Unterstützungs‑, Beratungs‑, Berichts‑, Prüfungs‑, Warn- und Sorgfaltspflichten der Fachkräfte für Arbeitssicherheit als Stabsstelle und Unternehmerpflichten in der Linie – mit 15 Gerichtsurteilen und Strafverfahren zu Fahrlässigkeit und Schuld nach Arbeitsunfällen, 2021.
Spinnarke/Schork, Arbeitssicherheitsrecht (ASiR), hrsg. von Häuptl/Fisi, Ausgabe 4/2020, ASiG §1 Anm. 7.6 Rn. 61.
Alle drei Fallbesprechungen in Wilrich, Verantwortung und Haftung der Sicherheitsingenieure, 2021.
BGH, Urteil v. 19.10.2016 (Az. IV ZR 521/14).
LG München II, Urteil v. 21.04.1978 (Az. IV Kls 58 Js 5534/76) – Urteilsbesprechung in Wilrich, Technik-Verantwortung, 2022.
AG Ansbach – Urteilsbesprechung in Wilrich/Wilrich, Gefahrstoffrecht vor Gericht – 40 Urteilsanalysen zum Arbeitsschutz und zur Haftung nach Chemikalien- und Explosionsunfällen, 2021, S. 119 ff.
Jörg Eisele/Bernd Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 2017, Rn. 658, S. 242.
LG Traunstein, Urteil v. 18.11.2008 (Az. 2 KLs 200 Js 865/06) – Urteilsbesprechung in Wilrich, Technik-Verantwortung, 2022
Autor:
Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München
Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen
www.rechtsanwalt-wilrich.de