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Haftung im Arbeitsschutz: Kausalität als Voraussetzung

Haftung im Arbeitsschutz
Kausalität als Voraussetzung

Kausalität als Voraussetzung
Foto: © magele-picture – stock.adobe.com
Thomas Wilrich
Die Grund­formel der Haf­tung lautet, dass sowohl Ver­ant­wor­tung, Pflichtver­let­zung und Schaden als auch Kausal­ität und Ver­schulden vorhan­den sein müssen. Keine Haf­tung ohne Ursachen­zusam­men­hang: Der einge­tretene Schaden muss wegen der Pflichtver­let­zung des Anspruchs­geg­n­ers ent­standen sein.

Haf­tung set­zt voraus, dass die einge­tretene Rechtsgutsver­let­zung durch die zu beurteilende rechtswidrige Hand­lung verur­sacht wor­den ist. Juris­tis­che Per­so­n­en „kön­nen Arbeit­sun­fälle nicht selb­st verur­sachen. Eine Verur­sachung kann nur durch die für sie han­del­nden Per­so­n­en erfol­gen“ [1].

  • Ursäch­lich ist jedes Ver­hal­ten, das nicht hin­weggedacht wer­den kann, ohne dass der Unfall bzw. der Schaden ent­fiele (natur­wis­senschaftliche Betrachtungsweise)
  • Zugerech­net wer­den kann jedes einen Unfall bzw. Schaden verur­sachende Ver­hal­ten, wenn es nach rechtlichen Wer­tun­gen „Werk des Täters“ ist und nicht Zufall oder Werk des Opfers oder eines Drit­ten (nor­ma­tive Betrachtungsweise)

Bedingungs- oder Äquivalenzformel

Haf­tung erfordert soge­nan­nte haf­tungs­be­grün­dende Kausal­ität. Das ist eine fak­tis­che, empirische Frage und eine natur­wis­senschaftliche Kat­e­gorie: „Hättest du das nicht getan, wäre das nicht passiert.“ [2] „Bei der Prü­fung der Ursäch­lichkeit des Pflicht­en­ver­stoßes ist hypo­thetisch zu fra­gen, was geschehen wäre, wenn sich der Täter pflicht­gemäß ver­hal­ten hätte.“ [3]

Bei der Kausal­ität wen­den Juris­ten die Bedin­gungs- oder Äquiv­alen­zthe­o­rie an – sie hat fol­gende Formel: „Ursache ist jede Bedin­gung, die nicht hin­weggedacht wer­den kann, ohne dass der Erfolg ent­fiele“ [4]. Man redet von der Con­di­tio-sine-qua-non-Formel. „Der erforder­liche Kausalzusam­men­hang zwis­chen Unfall­ereig­nis und Gesund­heits­beein­träch­ti­gung beste­ht nach der Äquiv­alen­zthe­o­rie, wenn der Unfall im Sinne ein­er con­di­tio sine qua non nicht hin­weggedacht wer­den kann, ohne dass der Gesund­heitss­chaden ent­fiele.“ [5] „Dabei ist gle­ichgültig, ob neben dieser Bedin­gung noch andere Umstände zur Her­beiführung des Erfolges mit­gewirkt haben.“ [6]

Das klingt in den Haf­tung­surteilen nach (Arbeits-)Unfällen dann so:

  • „Wäre der Schutzschal­ter aktiviert gewe­sen, hätte sich die Mas­chine nicht weit­er­be­wegt, sobald die Türe geöffnet wird“ – und der Unfall wäre nicht geschehen [7].
  • „Es wird bei einem Ver­stoß gegen Unfal­lver­hü­tungsvorschriften pri­ma facie [8] ver­mutet, dass es bei Beach­tung der Schutzvorschrift nicht zu der Ver­let­zung gekom­men wäre, wenn sich – wie hier – in dem Unfall ger­ade die Gefahr ver­wirk­licht hat, deren Ein­tritt die Vorschrift ver­hin­dern wollte. Sinn und Zweck der jährlichen Sicher­heit­süber­prü­fung ist es, die Funk­tion­stüchtigkeit der sicher­heit­srel­e­van­ten Ein­rich­tun­gen zu gewährleis­ten, um deren Aus­fall und damit ein­herge­hende Unfälle zu ver­hin­dern“ [9].
  • Im Stra­furteil gegen den ersten Fahr­di­en­stleit­er F nach dem Tran­srapid-Unglück heißt es: „Die vom Angeklagten F erteilte Fahrt­freiga­be kann nicht hin­weggedacht wer­den, ohne dass der tatbe­standliche Erfolg, der Tod von 23 Men­schen und die Ver­let­zung von elf Men­schen, auf Grund der Kol­li­sion vom 22.09.2006 ent­fiele“. Zu seinem vorge­set­zten Betrieb­sleit­er B hieß es: „Eben­so kann eine ord­nungs­gemäße Überwachung des Angeklagten F durch den Angeklagten B nicht hinzugedacht wer­den, ohne dass der tatbe­standliche Erfolg ent­fiele“ [10].

Unterschriften sind schadenskausal

Immer wieder verkan­nt wird, dass eine Unter­schrift allein nicht unfal­lverur­sachend ist und daher allein nicht haf­tungsaus­lösend sein kann. Der Unterze­ich­n­er ein­er EU-Kon­for­mität­serk­lärung kann allein wegen dieser Unter­schrift nicht haften. For­mal­itäten allein begrün­den keine Haf­tung [11]. Nur wer materielle Sicher­heit­spflicht­en ver­let­zt, kann haften [12].

In diesem Sinne sagt das Landgericht Köln nach einem Bag­gerun­fall zu einem formellen Fehler des SiGe-Planes, es „erschließt sich ein Zusam­men­hang mit dem Unfall nicht. Zu diesem kam es auf­grund des grob fahrläs­si­gen Ver­hal­tens min­destens zweier am Bau täti­gen Per­so­n­en, und nicht auf­grund möglich­er formeller Fehler in einem Sicher­heit­s­plan“ [13].

Urteile zu Sicherheitsfachkräften

Zu Fachkräften für Arbeitssicher­heit [14] heißt es, „es wird sich kaum fest­stellen lassen, dass die Hand­lung, die von Arzt oder Sicher­heits­fachkraft zu fordern war und zu der sie Möglichkeit hat­ten (näm­lich Vorschläge, Mit­teilun­gen, Hin­weise usw.), mit an Sicher­heit gren­zen­der Wahrschein­lichkeit bei Vor­nahme den Erfolg ver­hin­dert hätte“ [15]. So sind Sicher­heits­fachkräfte in den drei Fällen – „Kreis­säge“, „Schlack­e­trans­porter“ und Wärmemat­te“ – freige­sprochen wor­den [16].

Aber unmöglich ist die Annahme der Kausal­ität ein­er ihrer Pflichtver­let­zun­gen nicht. Im Fall „Schlack­enkü­bel“ nahm das Amts­gericht Kehl dage­gen Kausal­ität an – aber eher in Form ein­er Behaup­tung denn mit Begrün­dung: „Hätte der Angeklagte die entsprechen­den Infor­ma­tio­nen seinem Vorge­set­zten gegeben, so hätte dieser entsprechende Vorkehrun­gen tre­f­fen kön­nen, wie es auch heute der Fall ist“.

Mitursächlichkeit reicht

Der BGH hält fest, dass „Mitursäch­lichkeit aus­re­ichend“ für die Haf­tung ist [17]. Nach der Freiga­be unsicher­er Autor­eifen durch einen Entwick­lungsleit­er sagte das Landgericht München zu dessen Verurteilung wegen fahrläs­siger Tötung: „Im Sinn der Bedin­gungs­the­o­rie ist die Freiga­behand­lung für die Unfälle kausal gewor­den. Die Kausal­ität des Han­delns des Angeklagten wird auch nicht durch möglicher­weise hinzutre­tende andere Ursachen, nicht ein­mal durch vorsät­zlich­es oder fahrläs­siges Ver­hal­ten des Opfers selb­st beseit­igt. Im Sinne der Kausal­ität­s­the­o­rie würde es genü­gen, dass die Hand­lung des Angeklagten eine Ursache des Erfol­gs war. Sie bräuchte nicht ein­mal die Haup­tur­sache gewe­sen zu sein“ [18].

Die Mitursäch­lichkeit ander­er Ver­ant­wortlich­er wird dann aber bei der Strafzumes­sung berück­sichtigt – etwa nach der Gas­ex­plo­sion bei ein­er Bäck­erei in Lehrberg bei der Verurteilung des Mon­teurs: Strafmildernd „zu Gun­sten des Angeklagten“ wirk­te, dass andere „Umstände (Anre­gung der Feuer­wehr zum Auss­chal­ten der Wer­betafel sowie unterbliebene Evakuierung der getöteten und ver­let­zten Per­so­n­en) zu den Fol­gen der Tat beige­tra­gen haben kön­nen“ [19].

Naturge­set­zliche Kausal­ität kann ufer­los sein. Es „kom­men oft­mals auch zeitlich weit zurück­liegen­des Ver­hal­ten in Betra­cht“ [20] – etwa Jahre nach Inverkehrbrin­gen eines Pro­duk­ts oder Jahrzehnte nach Pla­nung eines Gebäudes, sodass (wie nach dem Ein­sturz der Eishalle in Bad Reichen­hall) eine Haf­tung des Architek­ten mehr als 33 Jahre später möglich ist [21]. Daher erfol­gt eine Kor­rek­tur und es gibt eine weit­ere Haf­tungsvo­raus­set­zung: das Erforder­nis des soge­nan­nten Zurechnungszusammenhangs.

Lit­er­aturhin­weise:
LAG Köln, Urteil v. 03.08.2011 (Az. 9 Sa 1469/10).
Ste­fan Kühl, Strafrecht All­ge­mein­er Teil, 3. Aufl. 2000, §4 Rn. 9, S. 25.
BGH, Urteil v. 19.04.2000 (Az. 3 StR 442/99).
BGH, Urteil v. 28.09.1951 (Az. 2 StR 391/51).

BGH, Urteil v. 19.10.2016 (Az. IV ZR 521/14) – für das Zivilrecht.

BGH, Urteil v. 30.03.1993 (Az. 5 StR 720/92) – für das Strafrecht.

LG Rot­tweil, Fallbe­sprechung Nr. 8 „Drehmas­chine“, Arbeitss­chutz-Strafrecht, 2020, S. 214 ff.

Das heißt: „auf den ersten Blick“, „dem
ersten Anschein nach“ – und wird juris­tisch „Anscheins­be­weis“ genannt.

LG Pader­born, Fallbe­sprechung Nr. 24 „Las­te­naufzug“ in Wilrich, Sicher­heit­stech­nik und Maschi­ne­nun­fälle vor Gericht, 2022, S. 143 ff.

LG Osnabrück, Urteil v. 11.04.2011 (Az. 10 KLs/730 Js 43466/08 – 8/09) – Urteils­be­sprechung in Wilrich, Tech­nik-Ver­ant­wor­tung, 2022.

Siehe auch Wilrich, Pro­duk­t­sicher­heit­srecht und CE-Kon­for­mität – Hersteller‑, Impor­teur- und Händler-Pflicht­en für Tech­nik- und Ver­braucher­pro­duk­te bei Risikobeurteilung, Kon­struk­tion, Warn­hin­weisen und Ver­trieb, 2021.

Aus­führlich Wilrich, Tech­nik-Ver­ant­wor­tung – Sicher­heit­spflicht­en der Inge­nieure, Meis­ter und Fachkräfte und Organ­i­sa­tion und Auf­sicht durch Man­age­ment und Führungskräfte, 2022.

Fallbe­sprechung Nr. 9 „Bag­gerun­fall Köln“ in Wilrich, Bau­sicher­heit, 2021. S. 176 ff.

Zu ihnen Wilrich, Ver­ant­wor­tung und Haf­tung der Sicher­heitsin­ge­nieure: Unterstützungs‑, Beratungs‑, Berichts‑, Prüfungs‑, Warn- und Sorgfalt­spflicht­en der Fachkräfte für Arbeitssicher­heit als Stab­sstelle und Unternehmerpflicht­en in der Lin­ie – mit 15 Gericht­surteilen und Strafver­fahren zu Fahrläs­sigkeit und Schuld nach Arbeit­sun­fällen, 2021.

Spinnarke/Schork, Arbeitssicher­heit­srecht (ASiR), hrsg. von Häuptl/Fisi, Aus­gabe 4/2020, ASiG §1 Anm. 7.6 Rn. 61.

Alle drei Fallbe­sprechun­gen in Wilrich, Ver­ant­wor­tung und Haf­tung der Sicher­heitsin­ge­nieure, 2021.

BGH, Urteil v. 19.10.2016 (Az. IV ZR 521/14).

LG München II, Urteil v. 21.04.1978 (Az. IV Kls 58 Js 5534/76) – Urteils­be­sprechung in Wilrich, Tech­nik-Ver­ant­wor­tung, 2022.

AG Ans­bach – Urteils­be­sprechung in Wilrich/Wilrich, Gefahrstof­frecht vor Gericht – 40 Urteil­s­analy­sen zum Arbeitss­chutz und zur Haf­tung nach Chemikalien- und Explo­sion­sun­fällen, 2021, S. 119 ff.

Jörg Eisele/Bernd Hein­rich, Strafrecht All­ge­mein­er Teil, 2017, Rn. 658, S. 242.

LG Traun­stein, Urteil v. 18.11.2008 (Az. 2 KLs 200 Js 865/06) – Urteils­be­sprechung in Wilrich, Tech­nik-Ver­ant­wor­tung, 2022


Foto: © privat

Autor:
Recht­san­walt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München
Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen
www.rechtsanwalt-wilrich.de

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