Geklagt hatte ein Mann, der sich auf eine Stelle als Lkw-Fahrer bei einem Entsorger von Lebensmittelabfällen beworben hatte. Im Vorstellungsgespräch hatte er mit dem Unternehmer vereinbart, einen „Probearbeitstag“ zu absolvieren. Der Kläger sollte mit dem Lkw mitfahren und Abfälle einsammeln; Geld sollte er dafür nicht erhalten. Es kam, wie es kommen musste: An seinem Probearbeitstag stürzte der Kläger aus rund zwei Metern Höhe von der Laderampe des LKW und verletzte sich schwer am Kopf. Die zuständige Berufsgenossenschaft lehnte die Anerkennung als Arbeitsunfall ab, weil der Verletzte nicht in den Betrieb eingegliedert gewesen sei. Mit seiner dagegen gerichteten Klage hatte der Mann in allen drei Gerichtsinstanzen Erfolg.
Nach Auffassung des BSG stand der Kläger zwar nicht als Beschäftigter unter Versicherungsschutz. Ein Beschäftigungsverhältnis habe nicht vorgelegen, weil der Kläger noch nicht auf Dauer in den Betrieb des Entsorgungsunternehmers eingegliedert gewesen sei.
Wie-Beschäftigter?
Der Kläger habe aber eine „dem Entsorgungsunternehmer dienende, dessen Willen entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht“, die einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis ähnlich sei. Nach Auffassung der Richter war der Mann deshalb als sogenannter „Wie-Beschäftigter“ gesetzlich unfallversichert. Insbesondere sei es dem Kläger nicht nur um sein eigenes Interesse gegangen, eine dauerhafte Beschäftigung zu erlangen. Der Arbeiter habe darüber hinaus auch eine Tätigkeit mit wirtschaftlichem Wert für das Unternehmen erbracht. Denn der Probearbeitstag sollte gerade auch dem Unternehmer die Auswahl eines geeigneten Bewerbers ermöglichen.
Dies ist die Ausnahme!
Bedeutet die Entscheidung des BSG nun, dass jegliche Probearbeit grundsätzlich versichert ist?
Die Antwort lautet ganz klar: Nein.
Auch wenn das in den (Tages)Medien teilweise so dargestellt wurde. Probetage werden häufig vereinbart. Bevor ein Arbeitnehmer eingestellt wird, soll er zunächst einmal für einen oder mehrere Tage in die potenzielle neue Tätigkeit „hineinschnuppern“. Deshalb werden solche Tage häufig auch als „Schnuppertage“ bezeichnet. Die Rechtsprechung spricht in der Regel von einem „Einfühlungsverhältnis“. Bei einem solchen Einfühlungsverhältnis steht nicht die Arbeitsleistung im Vordergrund, sondern die Abklärung, ob der Bewerber für den Job geeignet ist. Es ist demnach nur ein „unverbindliches Kennenlernen“ gewollt, bei dem beide Parteien keinerlei Verpflichtungen übernehmen. Bei einer „richtigen“ Probearbeit dagegen übernimmt der Bewerber auf Anweisung des Chefs betrieblich notwendige Arbeiten – ebenso wie die regulär Beschäftigten. Und damit handelt es sich um ein Arbeitsverhältnis, aus dem auch ein Anspruch auf Bezahlung entsteht.
Auch nach dem BSG-Urteil bleibt es also dabei: Die private Arbeitssuche und Verhandlungen über den Abschluss eines Arbeitsvertrages einschließlich Probetag sind dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen und stehen grundsätzlich nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Ausnahmen bestätigen die Regel.
Autorin:
Tanja Sautter
Juristin bei der BG Verkehr
Haftungsansprüche
Sportlehrer müssen Erste Hilfe leisten (können)
Erste Hilfe gehört zur Amtspflicht von Sportlehrern. Dies hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 4. April 2019 entschieden. Ein ehemaliger Schüler machte Amtshaftungsansprüche wegen behauptet unzureichender Erste-Hilfe-Maßnahmen durch das Lehrpersonal des Landes Hessen geltend. Anlass war ein im Sportunterricht erlittener Zusammenbruch (Aktenzeichen III ZR 35/18).
Der seinerzeit 18 Jahre alte Kläger war während des Sportunterrichts an seiner Schule zusammengebrochen und hatte einen irreversiblen Hirnschaden erlitten. Der Schüler hatte etwa fünf Minuten nach Beginn des Aufwärmtrainings aufgehört zu laufen und rutschte an der Wand entlang in eine Sitzposition. Auf Ansprache reagierte er nicht mehr. Die Sportlehrerin setzte einen Notruf ab. Von der Leitstelle erhielt sie die Anweisung, den Kläger in die stabile Seitenlage zu verbringen. Die ein paar Minuten später eingetroffenen Sanitäter und der Notarzt begannen sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen, die ungefähr 45 Minuten dauerten. Dann wurde der intubierte und beatmete Kläger in eine Klinik gebracht. Im Aufnahmebericht wurde vermerkt, dass beim Eintreffen des Notarztes bereits eine acht minütige Bewusstlosigkeit ohne jegliche Laienreanimation bestanden habe. Es wurde ein hypoxischer Hirnschaden nach Kammerflimmern diagnostiziert, dessen genaue Ursache unklar blieb. Seitdem ist der junge Mann schwerstbehindert.
Der Kläger verlangt nun Schadensersatz, weil seine Lehrerin und ein weiterer herbeigerufener Sportlehrer die notwendige Reanimation unterlassen und dadurch den Hirnschaden herbeigeführt hätten. Ob der ehemalige Schüler tatsächlich auf Schadensersatz und Schmerzensgeld hoffen kann, ist noch offen. Der BGH hat den Fall zur Neuverhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht Frankfurt zurückverwiesen, weil erforderliche Gutachten nicht eingeholt wurden.
Der BGH betonte aber die Erste-Hilfe-Pflicht für Lehrer im Sportunterricht. Sportlehrern obliege hier eine entsprechende Amtspflicht, erforderliche und zumutbare Erste-Hilfe-Maßnahmen rechtzeitig durchzuführen. Sie müssen mit Notfällen rechnen und deshalb eine aktuelle Ausbildung in Erster Hilfe haben. Auf das Haftungsprivileg für Nothelfer können sie sich nicht berufen. Dieses solle Bürger schützen, die spontan bei einem Unglücksfall Erste Hilfe leisten und dabei Fehler machen. Ein Lehrer sei im Verhältnis zu seinen Schülern aber grundsätzlich kein unbeteiligter Dritter. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass der Staat die Schüler zur Teilnahme am Sportunterricht verpflichtet. Lehrer beziehungsweise der Dienstherr müssen daher gegebenenfalls schon bei leichter Fahrlässigkeit haften.
Die Vorinstanz muss nun erneut mit Hilfe eines Sachverständigen prüfen, ob die unterlassenen Hilfsmaßnahmen ursächlich für die eingetretene Hirnschädigung waren. Denn nur wenn ein Zusammenhang zwischen der unterlassenen Reanimation und der Behinderung bewiesen wird, hat der junge Mann Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld.