Nach dem tödlichen Unfall eines Lkw-Fahrers erließ das Amtsgericht Heilbronn1 im September 2008 einen Strafbefehl gegen vier Unternehmensmitarbeiter – es wurde jeweils eine Geldstrafe in Höhe von 90 Tagessätzen festgesetzt.2
Sachverhalt
Einem Zulieferer des Elektromaschinenbaus wurden zweimal wöchentlich per Lastwagen aus Spanien circa 3,2 Tonnen schwere Notstromaggregate geliefert. Am 18. Mai 2007 kam es zu einem tödlichen Arbeitsunfall. Ein Aggregat rutschte vom Gabelstapler, erfasste einen Lkw-Fahrer und verletzte ihn tödlich, weil der Gabelstaplerfahrer
- „das Aggregat wegen zu breiter Zinken am Gabelstapler neben den zum Abladen vorgesehenen Haltelaschen anhob und sodann rückwärts fuhr“,
- „rückwärts eine leichte Steigung von zwei bis sechs Prozent hinauffahren musste“ und
- „sein Hubgerüst nur waagerecht und nicht mit der Oberseite zum Stapler geneigt eingestellt hatte“.
Strafbefehl
Eine Strafbarkeit wegen fahrlässiger Tötung setzt voraus
- eine verantwortliche Person (dazu 1.),
- die ihre Pflichten verletzt (dazu 2.),
- was erkennbar und vermeidbar zu einem Unfall führt, also fahrlässig war (dazu 3.).
1. Verantwortung der Unternehmensmitarbeiter
Das Amtsgericht begründete die Verantwortung der vier Unternehmensmitarbeiter
- beim Geschäftsführer mit dem schlichten Wort, er sei „verantwortlich“,
- beim „Abteilungsleiter der Stromerzeugerfertigung“, er sei „für die Einhaltung der Arbeitssicherheit in seiner Abteilung zuständig“,
- beim „Lager- und Versandleiter“ – ohne es allerdings ausdrücklich zu sagen – aus der „Anordnung“ des Abladevorgangs und
- beim Gabelstapler – ohne es allerdings ausdrücklich so festzustellen – aus der sicherheitswidrigen Verhaltensweise, also der Nutzung eines nicht geeigneten Gabelstaplers.
Das sind drei Arten der Verantwortung:
- Verantwortung für Fehler der Arbeitsschutzorganisation beziehungsweise des Arbeitsschutzsystems bei Unternehmens- beziehungsweise Abteilungszuständigkeit,
- Verantwortung für fehlerhafte Anweisungen und
- Verantwortung für fehlerhafte Ausführung.
Das Gericht erwähnt keine Pflichtenübertragungen – vom Geschäftsführer – auf die weiteren Unternehmensmitarbeiter. Es ist aber ständige Rechtsprechung, dass Verantwortung auch aus der gelebten und nicht nur der formell niedergelegten Organisation folgen kann – also aus der Übernahme der Leitungsfunktion beziehungsweise der konkreten Arbeiten.3
- Beim Geschäftsführer könnte hier § 43 Abs. 1 GmbHG erwähnt werden.
- Beim Abteilungsleiter Stromerzeugerfertigung gibt es keine unmittelbar einschlägige Rechtsvorschrift, die seine Bereichsverantwortlichkeit ausspricht. Wenn die Rechtsprechung nicht nur – wie hier – behauptet, ein Abteilungsleiter sei „für die Einhaltung der Arbeitssicherheit in seiner Abteilung zuständig“, wird begründet, dass er in seinem Zuständigkeitsbereich die Unternehmerpflichten und damit auch die sogenannte Verkehrssicherungspflicht übernimmt. „Vorgesetzte ohne Verantwortung gibt es nicht. Wer es ablehnt, Verantwortung zu tragen, kann nicht Vorgesetzter sein“.4
- Beim Lagerleiter könnte auf § 106 GewO über das „Weisungsrecht des Arbeitgebers“ verwiesen werden, nach dem der Inhalt der Arbeitspflicht nur konkretisiert werden darf, soweit die Arbeitsbedingungen nicht durch gesetzliche Vorschriften festgelegt sind – auch Arbeitsschutzvorschriften. „Vorgesetzte und Aufsichtführende sind aufgrund ihres Arbeitsvertrages verpflichtet,
im Rahmen ihrer Befugnis die zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren erforderlichen Anordnungen und Maßnahmen zu treffen und dafür zu sorgen, dass sie befolgt werden. Insoweit trifft sie
eine zivilrechtliche und strafrechtliche Verantwortlichkeit“.5 - Beim Gabelstaplerfahrer könnte auf § 15 ArbSchG abgestellt werden, der „Pflichten der Beschäftigten“ enthält. Auf die Frage des Richters, warum er keinen Spanngurt benutzt habe, antwortete der Fahrer: „Ich mache das, was man mir sagt“.6 Aber § 15 Abs. 1 Satz 4 DGUV Vorschrift 1 Grundsätze der Prävention stellt klar: „Die Versicherten dürfen erkennbar gegen Sicherheit und Gesundheit gerichtete Weisungen nicht befolgen“.
2. Pflichtverletzung
Voraussetzung einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung ist eine Pflichtverletzung.
Das Amtsgericht stellte – ohne die einschlägige Betriebssicherheitsverordnung zu erwähnen7 – fest, dass alle drei grundlegenden Instrumente zur Gewährleistung ausreichend sicherer Arbeit fehlten: Geschäftsführer und Abteilungsleiter „sorgten nicht“
- für eine „Gefährdungsbeurteilung hinsichtlich des Abladevorgangs“
- für eine „diesbezügliche Betriebsanweisung“
- dafür, „dass die im Betrieb eingesetzten Staplerfahrer die jährlich vorgeschriebene Sicherheitsunterweisung erhielten, obwohl dies bereits am 31.1.2007 vom Sicherheitsbeauftragten angemahnt worden war, da die letzte Unterweisung 2005 durchgeführt worden war“,
und „duldeten“ den Ablagevorgang trotz dieser Arbeitsschutzwidrigkeit.
Das Gericht setzte dann weiter voraus, hätte aber durchaus noch ausdrücklich feststellen können:
- Der Lagerleiter darf ohne diese drei Arbeitsschutzinstrumente keine entsprechenden Anordnungen erteilen.
- Der Gabelstaplerfahrer darf ohne Betriebsanweisung und Unterweisung nicht tätig werden.
3. Verschulden = Fahrlässigkeit
Jede Strafe setzt Schuld voraus. Schuld ist persönliche Vorwerfbarkeit. Sie kann erfolgen, wenn der Unfall vorhersehbar und vermeidbar war – das ist dann die von § 222 StGB geforderte Fahrlässigkeit.
Das Amtsgericht stellte beim Fahrer tödliche Verletzungen fest, „die bei Aufnahme des Aggregats mit einem geeigneten Gabelstapler in den dafür vorgesehenen Haltelaschen nicht eingetreten wäre“ – und dies hätten der Geschäftsführer und die beiden Leiter „vorhersehen und vermeiden können“.
„Auch für den angeklagten Gabelstaplerfahrer wäre der Unfall bei Einhaltung seiner Sorgfaltspflichten vorhersehbar und vermeidbar gewesen, nämlich wenn er die Last nach dem Abladen vom Lastwagen und vor der weiteren Rückwärtsfahrt bis kurz über den Boden abgelassen und den Hofraum bergseitig mit zurückgeneigtem Hubmast befahren hätte“.
Gerichtsverfahren
Der Geschäftsführer und der Gabelstaplerfahrer akzeptierten den Strafbefehl.
Die beiden Leiter legten Einspruch ein. Das Amtsgericht Heilbronn stellte mit Beschlüssen vom 16. und 19. September 2008 die Strafverfahren ein – beim Abteilungsleiter der Stromerzeugerfertigung ohne Auflage, beim Lager- und Versandleiter gegen Zahlung von 1.000,- Euro an die „Nebenklägerin“ – wahrscheinlich die Witwe des Verunglückten. Eine Begründung enthalten diese Einstellungen nicht.
In einem Zeitungsartikel heißt es: „Mittlerweile hat das Unternehmen für die Gabeln des Staplers einen Anti-Rutsch-Belag angeschafft. Zudem soll eine zweite Person beim Abladen kontrollieren, dass sich niemand im Gefahrenbereich aufhält“.6
Fußnoten
1 AG Heilbronn, Strafbefehl aus September 2008.
2 Die Höhe des Tagessatzes wurde einkommensabhängig auf 200,- Euro, 100,- Euro, 40,- Euro und
25,- Euro festgesetzt.
3 siehe ausführlich Wilrich, Sicherheitsverantwortung: Arbeitsschutzpflichten, Betriebsorganisation und Führungskräftehaftung – mit 25 erläuterten Gerichtsurteilen (2016).
4 So DGUV-Information 211–006 (BGI 528) Nr. 3.
5 So DGUV-Information 211–006 (BGI 528) Nr. 3.
6 So https://www.stimme.de/kraichgau/nachrichten/sonstige-Toedlicher-Unfall-Wer-ist-schuld;art1943,1340112 (abgerufen am 19.01.19).
7Zu ihr Wilrich, Praxisleitfaden BetrSichV – mit 20 Gerichtsurteilen (2015).
Auszug aus dem Strafgesetzbuch (StGB):
§ 222 Fahrlässige Tötung
- Wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Auszug aus dem Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG):
§ 43 Haftung der Geschäftsführer
- (1) Die Geschäftsführer haben in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden.
Auszug aus der Gewerbeordnung (GewO):
§ 106 Weisungsrecht des Arbeitgebers
- Der Arbeitgeber kann Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit diese Arbeitsbedingungen nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind.
Auszug aus dem Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG):
§ 15 Pflichten der Beschäftigten
- (1) Die Beschäftigten sind verpflichtet, nach ihren Möglichkeiten sowie gemäß der Unterweisung und Weisung des Arbeitgebers für ihre Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit Sorge zu tragen. Entsprechend Satz 1 haben die Beschäftigten auch für die Sicherheit und Gesundheit der Personen zu sorgen, die von ihren Handlungen oder Unterlassungen bei der Arbeit betroffen sind.
- (2) Im Rahmen des Absatzes 1 haben die Beschäftigten insbesondere Maschinen, Geräte, Werkzeuge, Arbeitsstoffe, Transportmittel und sonstige Arbeitsmittel sowie Schutzvorrichtungen und die ihnen zur Verfügung gestellte persönliche Schutzausrüstung bestimmungsgemäß zu verwenden.
Auszug aus der DGUV Vorschrift 1 Grundsätze der Prävention:
§ 15 Allgemeine Unterstützungspflichten und Verhalten (Abs. 1 Sätze 3 und 4)
- Versicherte haben die entsprechenden Anweisungen des Unternehmers zu befolgen. Die Versicherten dürfen erkennbar gegen Sicherheit und Gesundheit gerichtete Weisungen nicht befolgen.
Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich
Hochschule München,
Fakultät Wirtschaftsingenieurwesen,
Professor für Wirtschafts‑, Arbeits‑, Technik‑, Unternehmensorganisationsrecht
und Recht für Ingenieure
E‑Mail: info@rechtsanwalt-wilrich.de