Die Gefährdungsbeurteilung ist Pflichtprogramm für jeden Arbeitgeber, und zwar unabhängig von der Anzahl der Beschäftigten. So verlangen es das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die DGUV Vorschrift 1 „Grundsätze der Prävention“.
Es geht hierbei jedoch um mehr, als Vorschriften zu befolgen. Schließlich haben auch die Unternehmen etwas davon, wenn die Belegschaft gut geschützt ist, sich im Betrieb alle wohl fühlen und weniger Mitarbeitende ausfallen.
Betrieb ist ein „lebender Organismus“
Ein Betrieb ist ein „lebender Organismus“, der immer wieder technische Neuerungen erfährt, in dem auch mal etwas verschleißt oder kaputt geht und das Personal wechselt. Daher ist auch eine Gefährdungsbeurteilung keine starre, einmalige Aktion, sondern als Teil der Arbeitsabläufe zu verstehen und laufend anzupassen.
Anlässe für eine Gefährdungsbeurteilung
Angezeigt ist eine Gefährdungsbeurteilung zunächst immer, bevor in einem Arbeitsbereich erstmals Tätigkeiten ausgeführt beziehungsweise neue Mitarbeitende eingeführt werden – als Erstbeurteilung von Arbeitsplätzen.
Wurden dann entsprechende Schutzmaßnahmen getroffen, beginnt der Prozess wieder von vorn: Konnten damit alle Gefährdungen beseitigt oder ausreichend minimiert werden? Bei einem „Nein“ sind die jeweiligen Maßnahmen anzupassen und dann erneut zu überprüfen.
Die Gefährdungsbeurteilung fortschreiben, heißt dies im Fachjargon etwa der ASR V3. Die seit 2017 existierende Arbeitsstättenregel widmet sich branchenübergreifend diesem Thema und ist eine praxisnahe Handlungshilfe.
Zu wiederholen ist die Gefährdungsbeurteilung außerdem bei maßgeblichen Veränderungen im Betrieb, unter anderem der Einführung neuer Arbeitsverfahren, Veränderungen der Arbeitsorganisation, dem Einsatz anderer Arbeitsstoffe, Geräte oder Materialien, nach Störfällen und Havarien, Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten im Betrieb, und so weiter.
Interview zum Thema Gefährdungsbeurteilung mit Ernst-Friedrich Pernack
Nur fachkundige Personen
Der Arbeitgeber hat sicherzustellen, dass die Gefährdungsbeurteilung fachkundig ausgeführt wird. Verfügt der Arbeitgeber nicht selbst über solche Kenntnisse, hat er sich entsprechend beraten zu lassen, in der Regel durch Fachkräfte für Arbeitssicherheit und Betriebsärzte.
Doch auch diese können an die Grenzen ihrer Expertise stoßen. Dann sind weitere externe oder interne Experten hinzuzuziehen, etwa der Beauftragte für das Qualitäts-/Umweltmanagement oder anderweitige Spezialisten, wie Beauftragte für die Biologische Sicherheit oder Strahlenschutzbeauftragte.
Rechtsgrundlagen hierfür sind das Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) und die DGUV Vorschrift 2 „Betriebsärzte und Fachkräfte für Arbeitssicherheit“.
Die Gefährdungsbeurteilung
Die Technische Regel für Arbeitsstätten ASR V3 erklärt den Begriff wie folgt: „Die Gefährdungsbeurteilung nach § 3 ArbStättV ist die auf das Einrichten und Betreiben der Arbeitsstätte ausgerichtete systematische Ermittlung und Beurteilung aller möglichen Gefährdungen der Beschäftigten einschließlich der Festlegung der erforderlichen Maßnahmen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit.“
Sie ist also nicht (nur) als Einschätzung und Dokumentation von möglichen Gefährdungen der Sicherheit und Gesundheit zu verstehen, sondern als ein mehrstufiger kontinuierlicher Prozess mit Maßnahmenfestlegung und Wirksamkeitskontrolle.
GDA-Studien: Geringe Umsetzung
Die Gefährdungsbeurteilung ist auch ein Schwerpunkt der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA), die 2008 gesetzlich im Arbeitsschutzgesetz und im Sozialgesetzbuch VII verankert wurde. Als evaluierendes Instrument dienen Betriebsbefragungen.
Die Stichproben werden nach der Größe der Betriebe, dem Wirtschaftszweig und den 16 Ländern geschichtet und umfassten bei den ersten beiden Durchläufen jeweils 6.500 Betriebe. Die Fragen beziehen sich unter anderem auf die betriebliche Arbeitsschutzorganisation ( Beispiel: Ist eine Fachkraft für Arbeitssicherheit vorhanden?), auf die Gefährdungsbeurteilung, auf allgemeine Kenntnisse vom Arbeitsschutzrecht sowie dessen Umsetzung.
Bei der ersten Stichprobe im Jahr 2011 kam heraus, dass lediglich 51 Prozent aller Betriebe eine Gefährdungsbeurteilung durchführten. Bei Kleinstbetrieben mit weniger als 10 Beschäftigten waren es sogar nur 41 Prozent, bei Betrieben zwischen 10 und 49 Beschäftigten immerhin 70 Prozent, bei Betrieben zwischen 50 und 249 Beschäftigten 90 Prozent und bei größeren Betrieben ab 250 Beschäftigten 98 Prozent.
Bei einer stärkeren Differenzierung der Antworten zeigte sich allerdings: Auch die Betriebe mit einer Gefährdungsbeurteilung hatten noch nicht alle dazu gehörenden Schritte umgesetzt – dies schafften insgesamt lediglich 16 Prozent.
Die zweite Betriebsbefragung, die 2015 innerhalb der zweiten GDA-Periode durchgeführt wurde, zeigte lediglich eine leichte Erhöhung: Nun gaben 54 Prozent der befragten Betriebe an, eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt zu haben. Derzeit läuft die dritte GDA-Periode.
Hilfreiches Portal
Das Portal www.gefaehrdungsbeurteilung.de bietet Unterstützung bei der Durchführung einer Gefährdungsbeurteilung. Es wurde von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) und den Trägern der Gemeinsamen Deutschen Arbeitsschutzstrategie (GDA) entwickelt.