Im Zuge der Corona-Pandemie ist die Zahl der Beschäftigten zu, die einen großen Teil ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen, rapide angestiegen. Der Gesetzgeber hat die Arbeitgeber mit der Corona-Arbeitsschutzverordnung verpflichtet, ihren Mitarbeitern diese Möglichkeit anzubieten, sofern deren Tätigkeit das Arbeiten von zuhause aus erlaubt. Bei Homeoffice haben betriebliche Arbeitsschützer deutlich weniger Einflussmöglichkeiten, für ein sicherheitsgerechtes Arbeiten zu sorgen als am Büroarbeitsplatz in der Firma oder öffentlichen Einrichtung. Doch auch im eigenen Haushalt kann ein Unfall passieren. Dann stellt sich sehr schnell die Frage, wie es mit dem Versicherungsschutz aussieht.
Wer sich am Arbeitsplatz bei einer beruflichen Tätigkeit verletzt, ist grundsätzlich über seinen Arbeitgeber – ob Betrieb, Schule oder Behörde – unfallversichert. Die Kosten für die medizinische Versorgung, Therapien, Hilfsmittel, Maßnahmen zur Rehabilitation usw. übernehmen die Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als sogenannte Unfallversicherungsträger. Rechtsgrundlage dieser gesetzlichen Unfallversicherung ist das Siebte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII). Sie gilt nicht für das Privatleben, sondern ausschließlich für die versicherte berufliche Tätigkeit.
Arbeitsunfall oder nicht?
Dieser wichtige Zweig der Sozialversicherung scheint klar geregelt, und doch landen immer wieder Streitfälle vor Gericht. In den Verhandlungen geht es meist um die Frage, ob eine Verletzung als Arbeitsunfall anerkannt wird oder nicht. Dies hat für das Unfallopfer eine hohe Bedeutung, denn die Folgen von Arbeitsunfällen können langwierig sein, teuer werden oder zu permanenter Arbeitsunfähigkeit führen. Insbesondere bei den sogenannten Wegeunfällen – Unfälle auf dem Weg von oder zum Arbeitsplatz – kommt es zu vielen strittigen Situationen. Wer etwa die Fahrt von der Arbeit nach Hause unterbricht, um einzukaufen oder private Besuche zu machen, riskiert seinen Versicherungsschutz. Er bleibt jedoch in aller Regel erhalten, wenn man einen Umweg macht, um sein Kind von der Schule oder der Kita abzuholen.
Maßgeblich für die in solchen Fragen zuständigen Sozialgerichte ist – vereinfacht ausgedrückt – inwiefern ein Unfall einer (versicherten) Tätigkeit des Arbeitslebens oder einer (unversicherten) Tätigkeit des Privatlebens zuzuordnen ist. Als Kriterium für die Grenzziehung zwischen versicherter und privater Tätigkeit wurde häufig die Außenhaustür genannt. Danach gilt, was im Haus oder in der eigenen Wohnung passiert, als privat, der direkte Weg von der Außenhaustür bis zur Arbeitsstelle jedoch als Arbeitsweg und somit als unfallversichert. Bei Homeoffice fällt dieses Kriterium jedoch weg. Denn zentrales Merkmal von Homeoffice ist, dass das Arbeiten innerhalb des eigenen Privatbereichs stattfindet. Somit müssen neue Kriterien gefunden werden, ob und wann eine Verletzung im Homeoffice als Arbeitsunfall gewertet wird oder nicht.
Auch beim Arbeiten im Homeoffice ist man unfallversichert
Grundsätzlich gilt, dass der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht ortsgebunden ist, sondern sich auf die versicherte Tätigkeit bezieht. Genauso wie beim Arbeiten auf einer Baustelle oder auf Montage beim Kunden oder – etwa bei Berufskraftfahrern – im Verkehr gilt der Versicherungsschutz somit auch beim Arbeiten von zuhause aus. Wer pandemiebedingt oder aus anderen Gründen seine berufliche Arbeit in Absprache mit seinem Arbeitgeber aus dem Homeoffice erledigt, steht in gleicher Weise unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung wie der Kollege, der im Büro in der Firma die Stellung hält.
Aus diesem Grundsatz kann jedoch nicht geschlossen werden, dass jeder Unfall, der zuhause passiert, auch als Arbeitsunfall anerkannt würde. Denn im heimischen Umfeld werden viele Tätigkeiten erledigt, die privaten Charakter haben, ob kochen, Wäsche aufhängen oder den Hund füttern. Da solche Tätigkeiten nichts mit dem Arbeitsauftrag des Arbeitgebers zu tun haben und auch nicht in dessen Verantwortungsbereich liegen, gelten sie auch nicht als versicherte Tätigkeiten. Somit sind Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse hier nicht zuständig und ein Unfall oder eine Verletzung fallen nicht unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung.
Wenn der gleiche Ort privat wie dienstlich genutzt wird
bare Sachverhalt ist im konkreten Fall nicht immer so einfach einzuordnen. Denn beim Arbeiten in der heimischen Umgebung können versicherte berufliche Tätigkeiten und nicht-versicherte private Handlungen nahe beieinander liegen. Das ist quasi automatisch der Fall, wenn am gleichen Büroarbeitsplatz dienstliche Aufgaben wie auch private Dinge erledigt werden. Und klingelt es an der Tür, weiß zunächst nicht mal der Homeoffice-Worker selbst, ob er dienstlich oder privat unterwegs ist. Denn es könnte der Nachbar sein mit einer Bitte oder auch der Paketdienst mit den dringend benötigten Akten aus der Firma.
Stolpert man nun auf dem Weg vom Homeoffice-Arbeitsplatz zur Haustür und verletzt sich dabei, stellt sich die Frage, ob die gesetzliche Unfallversicherung greift oder nicht. Nicht immer ist die Unfallsituation und die Zuordnung privat oder beruflich so vergleichsweise überschaubar wie im geschilderten Beispiel. Solche Unfälle im häuslichen Umfeld landen dann oft vor Gericht. Dass einige Fälle über mehrere Instanzen gehen, zeigt, dass die Sachlage komplex werden kann und sich auch die Experten und Juristen in ihren Einschätzungen nicht immer einig sind.
Unfall im Homeoffice: Entscheidend ist die Handlungstendenz
Als maßgeblich für das Bewerten eines Unfalls im Zusammenhang mit Homeoffice gilt ein Sturz auf der Kellertreppe, der nach mehreren Instanzen im November 2018 vor dem Bundessozialgerichts (BSG) verhandelt wurde.
Der Unfall: Geklagt hatte die Managerin eines internationalen Online-Unternehmens. Sie hatte sich im Keller ihres Zuhause einen Homeoffice-Arbeitsplatz eingerichtet, an dem sie regelmäßig beruflichen Aufgaben nachkam. Am Unfalltag hatte sie zunächst eine Messe besucht und erhielt dann von ihrem Arbeitgeber die Anweisung, den Geschäftsführer ihres Unternehmens anzurufen. Die Managerin fuhr nach Hause und stieg mit ihrem Laptop die Treppe zu ihrem Arbeitsplatz hinunter, um dort das Gerät für das vorgesehene Übersee-Telefonat anzuschließen. Sie rutschte jedoch auf der Kellertreppe aus und zog sich einen komplizierten Bruch im Bereich der Lendenwirbel zu.
Das Urteil: Die zuständige Berufsgenossenschaft hatte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls abgelehnt. Der Fall war nach unterschiedlichen Bewertungen von Sozialgericht und Landessozialgericht beim BSG gelandet. Die obersten Sozialrichter kamen zu dem Schluss, dass es sich um einen Arbeitsunfall handelt. Denn der Unfall sei auf einem versicherten Betriebsweg passiert. Entscheidend sei die Handlungstendenz des Unfallopfers und das Benutzen der Kellertreppe habe eindeutig betrieblichen Interessen gedient. (Urteil des BSG vom 27.11.2018, Az B 2 U 28/17 R)
Damit wird das Durchschreiten der Haustür als Kriterium zwischen versicherter und nicht-versicherter Tätigkeit zwar nicht aufgehoben. Dieses Kriterium verliert jedoch an Relevanz, wenn Wohnung und Arbeitsstätte sich im selben Haus befinden. Stattdessen kommt es in einer solchen Homeoffice-Situation darauf an, „mit welcher objektivierten Handlungstendenz ein Versicherter Örtlichkeiten benutze, die sowohl privat als auch betrieblich genutzt würden,“ so eine Einschätzung der DGUV Hochschule. Entscheidend sei, „welche konkrete Verrichtung mit welchem Zweck die Klägerin in dem Moment des Unfalls ausübte“.
Fazit: Beim Unfall im Homeoffice kommt es darauf an …
Das BSG-Urteil bestätigt die Auffassung, dass jeweils die Umstände des Einzelfalls zu betrachtend sind und es darauf ankommt, ob die Tätigkeit, während der es zu dem Unfall gekommen ist, betrieblichen Zwecken dient. Wer demnach z. B. in seinem eigenen Haus eine Treppe benutzt, um ein zum Arbeiten notwendiges Dokument vom Drucker im Keller zu holen, tut dies im Interesse seines Arbeitgebers, ergo steht er unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Dieser Gang stellt einen Betriebsweg dar und Betriebswege sind unfallversichert.
Wer die gleiche Treppe benutzt, um im Keller nach der Waschmaschine zu schauen, tut dies jedoch im eigenen Interesse. D. h. ein Sturz auf der Treppe wäre in diesem Fall nicht von der gesetzlichen Unfallversicherung gedeckt, da eine sogenannte eigenwirtschaftliche Tätigkeit vorliegt. Die DGUV konstatiert dazu eindeutig, dass eigenwirtschaftliche Tätigkeiten auch im Büro grundsätzlich nicht gesetzlich unfallversichert sind. Hier haben die Gerichte bislang eher strikt geurteilt. So gilt bzw. galt (siehe Kasten „Neu seit Juni 2021: Versicherungsschutz im Homeoffice ausgeweitet”) es bereits als eigenwirtschaftliche Tätigkeit, wenn man seinen Homeoffice-Arbeitsplatz verlässt, um sich aus der Küche einen Tee zu holen oder um auf die Toilette zu gehen.
Neu seit Juni 2021: Versicherungsschutz im Homeoffice ausgeweitet
Mit dem am 18. Juni 2021 in Kraft getretenen Betriebsräte-Modernisierungsgesetz hat der Gesetzgeber festgelegt, dass für Unfälle eines Versicherten im Homeoffice der gleiche Umfang an Versicherungsschutz gilt wie beim Unfall innerhalb seiner Arbeits- oder Betriebsstätte. Damit sind nun beim Arbeiten von zuhause aus nicht länger nur die eigentliche Tätigkeit sowie die sogenannten Betriebswege – etwa vom Sitzplatz zum Drucker – unfallversichert, sondern auch Wege zur Kaffeemaschine in der Küche oder der Gang auf die Toilette.
Auch Homeoffice-Unfälle melden
Empfehlenswert für Betroffene ist, auch bei einer Verletzung zuhause den Unfallhergang zu dokumentieren. Aus den Notizen sollte hervorgehen was man gerade erledigt hat und wie es zum Unfall kam. Der Unfall sollte mit Ort, Zeitpunkt und Unfallhergang zeitnah dem Arbeitgeber mitgeteilt werden. Dieser muss ihn dann – gemäß den gleichen Kriterien wie für betriebsinterne Unfälle – der zuständigen Berufsgenossenschaft oder Unfallkasse melden. Sucht man ärztliche Betreuung auf, sollte man auch in der Praxis oder bei der Aufnahme im Krankenhaus angeben, dass sich der Unfall beim Arbeiten von zuhause aus ereignet hat.
Unfallprävention ist auch zuhause möglich
Last, but not least muss die betriebliche Prävention im Homeoffice keineswegs außen vor bleiben. Im Gegenteil, Arbeitsschützer sind aufgerufen, betroffene Kolleginnen und Kollegen zu Gesundheitsgefährdungen beim Arbeiten im Homeoffice zu informieren und zu unterweisen. Auch bei einem pandemiebedingten Arbeiten von zuhause sollte ein möglichst störungsfreier und ergonomisch hochwertiger Arbeitsplatz mit guter Ausleuchtung selbstverständlich sein. Klassische Unfallauslöser wie quer über Laufwege liegende Verlängerungskabel oder auf Treppenstufen abgestellte Gegenstände sind zuhause genauso zu vermeiden wie an jedem anderen Arbeitsplatz.
Die Unterweisung sollte auch Möglichkeiten aufzuzeigen, wie man Stress und Hektik vermeidet. So haben sich z. B. in vielen Fällen fest vereinbarte Zeiten für Telefonate oder Videokonferenzen bewährt. Gerade bei einer Mehrfachbelastung zuhause durch Kleinkinder oder Homeschooling können feste Routinen hilfreich sein, um seine diverse Pflichten im Tagesablauf zu planen. Wer in das Gefühl verfällt, an Homeoffice-Tagen rund um die Uhr für den Chef oder die Kollegen erreichbar sein zu müssen, belastet sich unnötig und sollte auf klare Absprachen drängen.
Autor: Friedhelm Kring
Download-Tipps
Die Unfallversicherungsträger und Krankenkassen und andere Organisationen haben eine Fülle von Materialien und Leitfäden herausgegeben, die anleiten, wie man sein Arbeiten im Homeoffice sicher und gesund gestalten kann, z. B.:
- AOK: Stressfreies Arbeiten von Zuhause
- Quarks: Darum solltest du im Homeoffice deinen Schreibtisch ergonomisch einrichten
- VBG: Arbeit im Homeoffice gesund gestalten
Lesen Sie auch:
- Homeoffice, mobiles Arbeiten, Telearbeit: Wo liegen die Unterschiede?
- Gefährdungsbeurteilung in Zeiten von Homeoffice und mobiler Arbeit
- Risiken und Gefährdungen des Arbeitens von zu Hause aus
- Digitaler Stress — Arbeiten, Lernen und Leiden am Computer