Der Entwurf des „Zweiten Gesetzes zur Änderung im Bereich der geringfügigen Beschäftigung“ sieht im Kern vor, dass die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (sog. Minijobs) nicht mehr durch einen statischen Wert, sondern dynamisch ausgestaltet werden soll. Die Geringfügigkeitsgrenze wird so definiert, dass sie einer Wochenarbeitszeit von 10 Stunden zu Mindestlohnbedingungen entspricht. Sie wird dementsprechend mit der zum 01.10.2022 geplanten Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde auf 520 Euro monatlich erhöht. Gleichzeitig soll auch die Höchstgrenze für eine Beschäftigung im Übergangsbereich (sog. Midijobs) von monatlich bisher 1.300 auf 1.600 Euro ansteigen. Das soll eine Entlastung von sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten mit geringem Arbeitsentgelt bewirken und zudem einen Anreiz für geringfügig Beschäftigte bieten, ihre Arbeitszeit über einen Minijob hinaus auszuweiten.
Pflicht zur Arbeitszeiterfassung
Relevant aus arbeitsschutzrechtlicher Sicht ist die Pflicht zur umfänglichen Arbeitszeiterfassung. Diese soll für bestimmte Branchen gelten und in § 17 Mindestlohngesetz (MiLoG) verankert werden. Künftig soll der Beginn der täglichen Arbeitszeit jeweils unmittelbar bei Arbeitsaufnahme sowie Ende und Dauer der täglichen Arbeitszeit jeweils am Tag der Arbeitsleistung elektronisch und manipulationssicher aufgezeichnet werden.
Arbeitgeber werden verpflichtet, die Daten mindestens zwei Jahre elektronisch aufzubewahren. Die neuen Anforderungen sollen nach Ansicht des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales dem Bürokratieabbau durch Digitalisierung dienen sowie Manipulationen bei der Arbeitszeitaufzeichnung verhindern.
Gewerbe, die verpflichtet sind, die Arbeitszeit zu erfassen:
- Baugewerbe,
- Gaststätten- und Beherbergungsgewerbe,
- Personenbeförderungsgewerbe,
- Speditions‑, Transport- und damit verbundenes Logistikgewerbe,
- Prostitutionsgewerbe,
- Wach- und Sicherheitsgewerbe,
- Schaustellergewerbe,
- Gebäudereinigungsgewerbe,
- die Unternehmen der Forstwirtschaft,
- Unternehmen, die sich am Auf- und Abbau von Messen und Ausstellungen beteiligen
- sowie die Fleischwirtschaft.
Für die Fleischwirtschaft besteht bereits eine entsprechende Pflicht (§ 6 GSA Fleisch), sie soll aufgehoben werden und in der Erfassungspflicht nach § 17 MiLoG aufgehen. Die Pflicht zur umfängliche Arbeitszeiterfassung soll auch in das Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) und Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AÜG) aufgenommen werden. Sie gilt damit für Arbeitgeber, die als Entleiher Leiharbeitnehmer oder entsandte Arbeitnehmer beschäftigen.
Ergänzend soll in der Gewerbeordnung (GewO) eine Verpflichtung des Arbeitgebers eingeführt werden, die elektronisch erfassten, mindestlohnrelevanten Arbeitszeiten nach Beendigung des Abrechnungszeitraums den Arbeitnehmern bereitzustellen. Zudem muss die Lohnabrechnung Angaben über die Höhe des auf das jeweilige Arbeitsverhältnis anwendbaren Mindestlohns enthalten.
Bußgelder bei fehlender Arbeitszeiterfassung
Verstöße gegen die vorgeschriebene Weise der Aufzeichnung der Arbeitszeiten werden als Ordnungswidrigkeit geahndet – die Aufsichtsbehörden können Bußgelder bis zu EUR 30.000 verhängen. Die Bußgeldtatbestände werden in das MiLoG, AÜG und AEntG integriert.
Kritik von Verbänden
Während die Gewerkschaften die Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze und die geplante Dynamisierung äußerst kritisch betrachten, billigen sie den geplanten Ausbau der Arbeitszeiterfassung. Umgekehrt beklagt etwa die Zeitarbeitsbranche die Pläne zur Zeiterfassung als zusätzlichen Bürokratieaufbau – in diesem Zusammenhang äußern sich auch Unternehmen und Verbände der Baubranche kritisch und weisen auf praktische und datenschutzrechtliche Probleme bei der Umsetzung hin2.
Fazit
Was von diesem Referentenentwurf tatsächlich in die Gesetzgebung eingeht und welche Änderungen dort unter Umständen noch vorgenommen werden, bleibt abzuwarten. Die Anpassung der Mindestlohngrenze scheint jedenfalls erforderlich, um auch nach der Anhebung des Mindestlohns die bisherigen Bedingungen (der Gesetzgeber orientiert an einer zehnstündigen Wochenarbeitszeit) beibehalten zu können.
Die Pflicht zur Erfassung der gesamten täglichen Arbeitszeit knüpft an die Vorgaben des Urteils des Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 14. Mai 2019 (C‑55/18) an (sog. sog. Stechuhr-Urteil). Der EuGH verpflichtete die Mitgliedsstaaten zur Einführung eines objektiven, verlässlichen und zugänglichen Systems zur Arbeitszeiterfassung. Dafür reicht es nach Ansicht des EuGH nicht aus, nur die Überstunden zu dokumentieren, wie es bisher (und noch immer) im deutschen Arbeitszeitgesetz vorgesehen ist. Drei Jahre nach dem Urteil des EuGH will der Gesetzgeber nun mehr oder weniger durch die Hintertür – versteckt im Gesetz über die Reform der Minijobs – Vorgaben zur umfassenden Zeiterfassung einführen. Dabei geht er mit der Verpflichtung zu einer elektronischen Aufzeichnung sogar noch über die Vorgaben des EuGH hinaus. Denn diesem genügt schon eine Dokumentation in Papierform – wenn sie objektiv, verlässlich und zugänglich ausgestaltet ist.
Durch die vollständige Übernahme der Arbeitszeitregelungen auch für den Bereich der Arbeitnehmerüberlassung wird die Verpflichtung faktisch branchenübergreifend und unabhängig von der Größe des Unternehmens in Deutschland eingeführt. Aus Sicht des Arbeitsschutzes ist dies als ein wichtiger Schritt anzusehen, denn die Überschreitung von Höchstarbeitszeiten gilt nach einer Studie der Weltgesundheitsorganisation WHO aus dem Jahre 2021 als der führende Faktor für Berufskrankheiten.
Autor:
Rechtsanwalt Matthias Klagge, LL.M.