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Kommunale Verkehrssicherungspflichten an öffentlichen Badegewässern

Der fährlässigen Tötung für schuldig befunden
Kommunale Verkehrssicherungspflichten an öffentlichen Badegewässern

Kommunale Verkehrssicherungspflichten an öffentlichen Badegewässern
Foto: © Katia Regina – stock.adobe.com
Im Som­mer 2016 star­ben drei Kinder im Alter zwis­chen 5 und 9 Jahren in einem Dorfte­ich im hes­sis­chen Neukirchen. Das Landgericht Mar­burg hat den Bürg­er­meis­ter in drei Fällen der fährläs­si­gen Tötung für schuldig befun­den. Er wurde zu ein­er Geld­strafe von 180 Tagessätzen zu 80 € verurteilt.

Das Urteil vom 23.02.2023 (Az.: 8 Ns 4 Js 12490/16) gibt Anlass zu der Frage: Welche Verkehrssicherungspflicht­en tre­f­fen die Kom­munen und ihre Amtsträger?

I. Die Ausgangskonstellation

Der Teich mit fast 2400 m² lag in ein­er Parkan­lage mit Grill­hütte, Beachvol­ley­ballfeld und Toi­let­te­nan­lage. Von seinem östlichen, teils noch natür­lich belasse­nen Ufer an war das Wass­er seicht. Über eine Treppe kon­nte man in das zunächst ca. 45 cm tiefe Wass­er gelan­gen. Die Wasser­tiefe nahm nur langsam zu. In der Teich­mitte war das Wass­er ca. 1,70 m tief.

Unge­fähr am südöstlichen Ufer des Teich­es lief ein Bach zu. Der weit­ere Ver­lauf des Bach­es befand sich am west­lichen Teichufer. Let­zteres war durch einen Damm vom Bach getren­nt. An dem ger­aden Ufer befan­den sich der Über­lauf des Teich­es sowie ein Steg, der in den Teich hinein­ragte [1]. Im Damm­bere­ich fiel das west­liche Ufer in einem Winkel von ca. 39 bis 45 Grad ab, bis die Bepflasterung in die betonierte Teich­sohle überg­ing. Am West­ufer erre­ichte der Teich stel­len­weise eine Tiefe von bis zu 1,85 m.

Die Beschaf­fen­heit des Teich­es unter­halb der Wasser­lin­ie war selb­st für eine direkt am Ufer ste­hende Per­son auf­grund des sehr trüben Wassers nur schw­er erkennbar. Der Damm­bere­ich war zum Unfal­lzeit­punkt nicht mit Bäu­men oder Büschen bewach­sen. Die Bepflasterung des Ufer­bere­ich­es zumin­d­est am West­ufer war auf­grund von Nässe und Ver­schlam­mung der­ar­tig rutschig, dass das Ver­lassen des Teich­es an dieser Stelle selb­st für erwach­sene Schwim­mer kaum möglich war.

Unter anderem im Bere­ich des Stegs war ein viereck­iges Schild aufgestellt, das in weiß auf grünem Grund die Auf­schrift „Teichan­lage – Betreten auf eigene Gefahr – Eltern haften für ihre Kinder“ trug. Weit­ere Maß­nah­men mit der Zweck­set­zung, vor Gefahren am West­ufer des Teich­es zu war­nen oder Besuch­er von dem Betreten des west­lichen Ufer­bere­ich­es abzuhal­ten, gab es nicht. Tech­nis­che Vor­rich­tun­gen, die einen Ausstieg aus dem Teich an dieser Stelle ermöglichen oder erle­ichtern kon­nten, gab es nicht. Gle­ich­es gilt für Ret­tungsmit­tel (Ret­tungsring o. Ä.).

Am west­lichen Ufer ertranken die drei Kinder am 18.6.2016 zwis­chen 19:00 und 20:40 Uhr. Aus den Ver­let­zun­gen eines Kindes im Fußbere­ich kon­nte geschlossen wer­den, dass dieses erfol­g­los ver­sucht haben kön­nte, die steile Böschung des West­ufers zu erk­lim­men. Dieser Bere­ich war zwei Jahre zuvor mit Gehwegpflastern durch die Bürg­er­schaft mit Ken­nt­nis des Bürg­er­meis­ters befestigt.

Auf­grund dieser Instand­set­zungsar­beit­en set­zte sich ein Mitar­beit­er der Stadt mit dem zuständi­gen Haftpflichtver­sicher­er in Verbindung. Die Ver­sicherung mah­nte auf­grund der Tiefe des Wassers und des teil­weisen steilen Gefälles eine Absicherung des Gewässers an. Das Schreiben der Ver­sicherung war vom Bürg­er­meis­ter abgeze­ich­net worden.

 

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An dem Ufer befand sich ein Steg, der in den Teich hinein­ragte.
Foto: © Ivan Zhdan – stock.adobe.com

II. Rechtliche Probleme

1. Eröff­nung des Verkehrs und Entste­hen ein­er Verkehrssicherungspflicht

Nach der Recht­sprechung ist entschei­dend, ob die Kom­mune den Bade- und Erhol­ungsverkehr „eröffnet“ hat [2]. Hier­für kommt es primär auf die Sicht der Bürg­erin­nen und Bürg­er, also der poten­ziellen Nutzer, an.

Entschei­dend sind die äußeren (tat­säch­lichen) Umstände, die der Nutzer wahrn­immt, also wie hier die Pflasterung der Wege, die Schaf­fung eines Beachvol­ley­ballfeldes und die Ertüch­ti­gung der Grill­hütte, der Toi­let­te­nan­lage sowie die Dul­dung der Befes­ti­gung des West­ufers. Die Recht­sprechung spricht in diesem Zusam­men­hang auch von soge­nan­nten „Anreizen“, die für die Bade­nutzung geset­zt werden.

In rechtlich­er Hin­sicht wird der Bade- und Erhol­ungsverkehr dann eröffnet, wenn Ufer­flächen und Gewäss­er durch Ort­srecht (Satzung) entsprechend „gewid­met“ wur­den. Dies ist hier nicht geschehen, aber die Dul­dung der tat­säch­lichen Nutzung sowie die oben genan­nten Begleit­maß­nah­men reichen aus. Nach der strafrechtlichen Recht­sprechung ist dabei nicht entschei­dend, ob die Kom­mune zur Verkehrseröff­nung rechtlich verpflichtet oder berechtigt war; entschei­dend ist die tat­säch­liche Pflichtenübernahme.

Sind solche Umstände gegeben, wurde der Bade- und Erhol­ungsverkehr eröffnet; die Kom­mune ist hier­für verkehrssicherungspflichtig. Im Ergeb­nis haben die Verkehrseröff­nung bzw. die Anreize zur Nutzung eine Dop­pel­wirkung. Ein­er­seits bewirkt die Verkehrseröff­nung zum Baden grund­sät­zlich das Entste­hen von Verkehrssicherungspflicht­en für die Bade­nutzung des Gewässers. Ander­er­seits erhöhen die Anreize den Pflicht­en­stan­dard, den die Kom­mune zur Gefahrab­wen­dung erfüllen muss.

Sollte sich hinge­gen her­ausstellen, dass über­haupt keine Verkehrseröff­nung stattge­fun­den hat, beste­ht auch grund­sät­zlich keine Verkehrssicherungspflicht. Allerd­ings gibt es hier­von eine wichtige Ausnahme.

 

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Im Bere­ich des Stegs gab es ein Schild mit der Auf­schrift „Teichan­lage – Betreten auf eigene Gefahr – Eltern haften für ihre Kinder“.
Foto: © tyler67 – stock.adobe.com

2. „Lebens­bedrohliche Fallen“

Selb­st in Fällen fehlen­der Verkehrseröff­nung kön­nen Verkehrssicherungspflicht­en beste­hen. Es entspricht anerkan­nten Rechts­grund­sätzen, dass jed­er, der Gefahren­quellen schafft oder unter­hält, die notwendi­gen Vorkehrun­gen zur Sicher­heit Drit­ter zu ergreifen hat.

Kom­mu­nale Entschei­dungsträger müssen in ihr „ex-ante“-Urteil also immer die Fall­gruppe der „lebens­bedrohlichen Fall­en“ mit ein­beziehen, und zwar sog­ar dann, wenn sie den Verkehr an der fraglichen Stelle ver­boten haben. Das hohe Gefährdungspoten­zial für hochrangige Rechts­güter, wie Leib und Leben, ist ein­er der Gründe, warum vor solchen „Fall­en“ auch dort zu schützen ist, wo der Verkehr über­haupt nicht eröffnet wurde. Entschei­dend ist, ob das nahe­liegende Risiko beste­ht, dass Per­so­n­en mit dieser lebens­bedrohlichen Gefahr in Berührung kom­men können.

Auch diese Fal­lkon­stel­la­tion läge hypo­thetisch hier zumin­d­est für das West­ufer vor.

a) Befes­ti­gung des Dammes

Zu ein­er Gefahrerhöhung hat es ganz wesentlich geführt, dass das natür­liche Ufer des Teich­es abge­tra­gen und der Damm am West­ufer in einem Winkel von 39 bis zu 45 Grad mit Gehweg-Pflaster­steinen befes­tigt wor­den ist. Diese Maß­nahme wirk­te gle­ich in mehrfach­er Hin­sicht gefahrerhöhend, indem sie die Möglichkeit­en, den Teich am West­ufer aus eigen­er Kraft zu ver­lassen, ganz erhe­blich reduziert hat.

Zunächst war zu beacht­en, dass die ver­wandten Pflaster­steine auf­grund ihrer Ober­flächenbeschaf­fen­heit bei Nässe und ins­beson­dere noch in Verbindung mit dem Teich­schlamm bzw. dem Bewuchs eine äußerst rutschige Ober­fläche ergaben. Durch den Winkel, in dem die Befes­ti­gung ange­bracht war, wurde der Ausstieg aus dem Teich an dieser Stelle nochmals gravierend erschwert.

Hier­bei ist zu beacht­en, dass eine Ufer­nei­gung von etwa 45 Grad einen Winkel darstellt, der bei natür­lichen Gewässern in der Regel nicht vorkommt, da bei ein­er der­ar­tig steilen Ufer­gestal­tung stets Land­masse abrutschen und automa­tisch zu ein­er Ver­flachung des Ufer­bere­ich­es führen würde.

Zudem brachte es die Ver­siegelung des Ufers mit sich, dass ein Bewuchs mit möglicher­weise ret­ten­dem Pflanzen- oder Wurzel­w­erk, an dem sich eine Per­son, die verse­hentlich an dieser Stelle ins Wass­er ger­at­en ist, fes­thal­ten kön­nte, weit­ge­hend ver­hin­dert wird.

Dass diese ange­führte Gefahrerhöhung durch die Befes­ti­gung des Dammes nicht nur the­o­retisch möglich, son­dern auch prak­tisch einge­treten ist, ergab sich ins­beson­dere daraus, dass wed­er der Ers­thelfer noch die einge­set­zten Ret­tungstauch­er den Teich in diesem Ufer­bere­ich aus eigen­er Kraft wieder ver­lassen konnten.

b) Wasser­fläche, Wasser­tiefe und Beschaf­fen­heit der Teichsohle

Zu der steilen Befes­ti­gung des Teichufers kam – wiederum gefahrerhöhend – die Befes­ti­gung der Teich­sohle durch Beton, wobei zumin­d­est am West­ufer die Befes­ti­gung mit den Pflaster­steinen unmit­tel­bar in die Beton­sohle überg­ing. Das befes­tigte Teichufer set­zte sich hier­bei im Winkel von bis zu 45 Grad fort.

Ein Besuch­er des Teich­es, der verse­hentlich am Ufer ins Rutschen kommt, rutscht bei diesen Gegeben­heit­en voraus­sichtlich bis zur tief­sten Stelle des Teich­es oder bis seine Füße den Kon­takt zum Boden ver­lieren. Mit Blick auf die Wasser­tiefe im Bere­ich der Teich­sohle stellte dies für Kinder eine weit­ere, mas­sive Gefahrerhöhung dar, die auf­grund des trüben Wassers auch dann nicht zu erken­nen war, wenn man direkt am Teichufer stand.

Auf­grund der Uferbeschaf­fen­heit wäre – ins­beson­dere für ein Kind – die einzige Möglichkeit, aus dem Teich hin­auszuge­lan­gen, diejenige gewe­sen, die Teich­fläche von mehr als 2000 m² zu über­queren und an ein­er seichteren Stelle aus dem Wass­er zu gelangen.

Im Hin­blick auf die Aus­führun­gen des rechtsmedi­zinis­chen Sachver­ständi­gen, dass bere­its nach weni­gen Sekun­den bei ungeübten Men­schen ein Atem­re­flex auftritt und kurz darauf Panik ein­tritt, war ins­beson­dere von Kindern nicht zu erwarten, dass sie sich in ein­er entsprechen­den Sit­u­a­tion ratio­nal ver­hal­ten und sich zu einem weit­er ent­fer­nt liegen­den Ufer begeben würden.

c) Geringe Erkennbarkeit der gefahrerhöhen­den Umstände

Die die erhöhte Gefährlichkeit des Teich­es am West­ufer begrün­den­den Umstände waren von außen nur schw­er erkennbar. Durch das trübe, ver­al­gte Wass­er waren für eine am Ufer ste­hende Per­son wed­er die Wasser­tiefe noch die im Wass­er liegende Fort­set­zung der Ufer­bepflasterung oder die betonierte Teich­sohle so deut­lich erkennbar, dass die sich aus diesen Umstän­den ergebende Gefahr hätte abgeschätzt wer­den können.

3. Keine aus­re­ichende War­nung durch Beschilderung

1988 ging es in ein­er Entschei­dung des BGH, um das Ertrinken eines achtjähri­gen Jun­gen in einem nicht zum Baden freigegebe­nen Teil eines Bag­gersees. Hier hat das Gericht gefordert, dass auf die beson­deren Gefahren an ein­er Stelle des Sees nicht nur ein Schild mit der Auf­schrift „Betreten ver­boten“ aufgestellt wird.

Hier fiel nach einem 5 mal 5 Meter großem Plateau mit 20 cm Wasser­tiefe der See auf 18 m ab. Eine der­ar­tige War­nung sei „viel zu undif­feren­ziert, um auf die beson­dere Gefahr, wie sie sich hier ver­wirk­licht hat, hinzuweisen. Hier hät­ten wirk­samere Schutz­maß­nah­men ergrif­f­en und zumin­d­est für Kinder ein­prägsamere Warn­schilder aufgestellt wer­den müssen [3].

Vor­liegend erkan­nte auch das LG Mar­burg, dass die im Hin­blick auf die mehrfache, wesentliche Gefahrerhöhung im Som­mer 2016 vorhan­dene Beschilderung des Teich­es zur Wahrnehmung der Verkehrssicherungspflicht nicht aus­re­ichend gewe­sen sei. Ins­beson­dere für Kinder war die im Ver­gle­ich zu natür­lichen Teichen ganz wesentlich erhöhte Gefährlichkeit am West­ufer des Teich­es nicht in aus­re­ichen­dem Maß erkennbar.

Wed­er Form noch Farbe des Schildes lassen darauf schließen, dass dieses Schild vor ein­er erhe­blichen Gefahr warnt. Auch der Wort­laut des Schild-Textes ver­mit­telt eher den Ein­druck eines Haf­tungsauss­chlusses als ein­er konkreten Warnung.

Das gilt erst recht im Hin­blick auf eine für Kinder aus­re­ichend erfass- und ver­ste­hbare War­nung vor den spez­i­fis­chen Gefahren des Teich­es im Bere­ich des west­lichen Ufers. Ger­ade gegenüber Kindern ist der Verkehrssicherungspflichtige zu einem beson­deren Schutz (auch durch wirk­same War­nun­gen) verpflichtet, weil von diesen nicht wie bei Erwach­se­nen die Ein­sicht in die beson­deren Gefahren ein­er Ein­rich­tung erwartet wer­den kann.

4. Begren­zung durch das „all­ge­meine Lebensrisiko“?

Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht wird begren­zt durch das so genan­nte „all­ge­meine Leben­srisiko“, vor dem auch der Inhab­er ein­er grund­sät­zlich gefährlichen Anlage Dritte nicht schützen muss. Dies bedeutet, dass nicht jed­er abstrak­ten Gefahr durch vor­beu­gende Maß­nah­men begeg­net wer­den muss, es vielmehr nur solch­er Sicherungs­maß­nah­men bedarf, die ein ver­ständi­ger und umsichtiger, in vernün­fti­gen Gren­zen vor­sichtiger Men­sch für aus­re­ichend hal­ten darf, um andere Per­so­n­en vor Schä­den zu bewahren, und die ihm den Umstän­den nach zumut­bar sind.

Wenn ein Betreiber eine öffentliche Freizeit­ein­rich­tung der All­ge­mein­heit zur Ver­fü­gung stellt, hat er die Verpflich­tung, die Benutzer vor den Gefahren zu schützen, die über das übliche Risiko bei der Anla­gen­be­nutzung hin­aus­ge­hen, nicht ohne weit­eres erkennbar und auch vom Benutzer nichtvorherse­hbar sind.

Wo beson­der­er Anreiz für einen kindlichen Spiel­trieb beste­ht, muss der Gefahr, die das Kind nicht erken­nen kann, durch entsprechende Sicherungs­maß­nah­men begeg­net wer­den. Grund­sät­zlich fällt es unter das „all­ge­meine Leben­srisiko“, sich einem natür­lichen Gewäss­er zu nähern.

Anders liegt es jedoch bei diesem Teich. Hier wurde durch die unter­schiedlichen Maß­nah­men, die mit Wis­sen und Bil­li­gung des Angeklagten an dem Teich und auf dem Gelände um den Teich vorgenom­men wor­den sind, das Gefahren­poten­zial des Teich­es ganz erhe­blich über natür­liche, über­schaubare und kalkulier­bare Risiken hin­aus erhöht, sodass zusät­zliche Sicherungs­maß­nah­men erforder­lich waren.

5. Verkehrssicherungspflicht des Angeklagten

Sein­er zivil­rechtlichen und strafrechtlichen Hand­lungsver­ant­wortlichkeit entsprechend hat der Bürg­er­meis­ter weit­ge­hende Befug­nisse, die Ver­wal­tung zu gestal­ten. Gemäß § 138 der hes­sis­chen Lan­desver­fas­sung ist der Bürg­er­meis­ter „Leit­er der Gemein­den“, er ist der Dreh- und Angelpunkt der Kommunalpolitik.

Der Bürg­er­meis­ter leit­et als Behör­denchef den Geschäfts­gang der gesamten Ver­wal­tung (§ 70 HGO) und ist Dien­stvorge­set­zter aller Gemein­debe­di­en­steten mit Aus­nahme der Beige­ord­neten (§ 73 Abs. 2 S. 1HGO). Der Bürg­er­meis­ter muss rechtswidri­gen Beschlüssen des Gemein­de­vor­stands wider­sprechen und kann Beschlüssen, die dem Gemein­wohl zuwider­laufen, eben­falls wider­sprechen (§§ 63, 74 HGO).

Ihm obliegt die Vor­bere­itung der Beschlüsse der Stadtverord­neten­ver­samm­lung, also auch die Fest­set­zung der Tage­sor­d­nung. Eine Beschlussfas­sung der Stadtverord­neten­ver­samm­lung ist ohne Fest­set­zung in der Tage­sor­d­nung regelmäßig nicht möglich.

Mit diesen Befug­nis­sen kor­re­spondiert es, dass der Bürg­er­meis­ter auch strafrechtlich dafür ver­ant­wortlich ist, erforder­liche Beschlüsse der Stadtverord­neten­ver­samm­lung oder des Mag­is­trats nicht her­beige­führt bzw. im Rah­men sein­er eige­nen Möglichkeit­en erforder­liche Maß­nah­men selb­st nicht ergrif­f­en zu haben.

Für das Gericht war der Ursachen­zusam­men­hang zwis­chen dem Ver­stoß gegen die Verkehrssicherungspflicht und dem Tod der drei Kinder objek­tiv und sub­jek­tiv vorherse­hbar und hätte durch weit­erge­hende Sicherungs­maß­nah­men durch den Bürg­er­meis­ter ver­hin­dert wer­den können.

6. Zurech­nungszusam­men­hang

a) Keine eigen­ver­ant­wortliche Selbstgefährdung

Der Zurech­nungszusam­men­hang wurde nicht durch eine eigen­ver­ant­wortliche Selb­st­ge­fährdung der Kinder unter­brochen. Der Angeklagte durfte nicht darauf ver­trauen, dass die Kinder in diesem Alter die von dem befes­tigten Teich aus­ge­hen­den Gefahren erken­nen kon­nten. Vielmehr war ger­ade damit zu rech­nen, dass der Teich einen der­ar­tig großen Reiz auf die Kinder ausüben würde, dass die Kinder mögliche Sicher­heits­be­denken hin­ter den Spaß zurück­stellen wür­den, der mit dem Spie­len am Teich einhergeht.

Hinzu kommt, dass in dem trüben Wass­er des Teich­es die von der Ufer­gestal­tung und der Tiefe des Wassers aus­ge­hen­den Gefahren nicht aus­re­ichend erkennbar waren. Fern­er war der Beschilderung kein (kindgerechter) Hin­weis auf die Gefahr zu ent­nehmen. Das Risiko, das von dem umge­baut­en Teich aus­ging, kon­nte durch die Kinder nicht überblickt werden.

Selb­st wenn man annimmt, dass sog­ar kleine Kinder sich eigen­ver­ant­wortlich selb­st gefährden kön­nen, war eine solche Entschei­dung bzw. Abwä­gung den Kindern man­gels Risikobe­wusst­seins nicht möglich. Hier­für fehlte es jeden­falls an ein­er basalen Ken­nt­nis der wesentlichen, die Lebens­ge­fährlichkeit des Ver­hal­tens begrün­den­den Umstände.

b) Auf­sicht­spflichtver­let­zung der Eltern

Auch wird der Zurech­nungszusam­men­hang nicht durch die grobe Auf­sicht­spflichtver­let­zung der Mut­ter der drei Kinder unter­brochen. Die Auf­sicht­spflicht der Eltern soll die Kinder vor Gefahren schützen, die sich aus dem all­ge­meinen Leben­srisiko ergeben.

Die (hier durch die Bau­maß­nah­men am Teich her­vorgerufe­nen) Gefahren gehen jedoch weit über das all­ge­meine Leben­srisiko hin­aus. Mit ein­er solchen Gefahr kon­nten und mussten die Eltern nicht rech­nen, vielmehr durften die Eltern sich darauf ver­lassen, dass die Gemeinde das über­durch­schnit­tliche Risikopoten­zial ihrer Parkan­lage durch Sicherungs­maß­nah­men abwendete.

III. Fazit

Die Entschei­dung des LG Mar­burg zeigt sehr aus­führlich Fra­gen der Verkehrssicherungspflicht­en von kom­mu­nalen Amt­strägern an öffentlichen Gewässern auf:

  • Eröff­nung des Bade­v­erkehrs durch Gestal­tung ein­er attrak­tiv­en Umge­bung um den Teich,
  • Teich in der Nähe des Dorfes,
  • Dul­dung des Schwimmens,
  • Unter­stützung bei der Befes­ti­gung des West­ufers durch Materialüberlassung,
  • Keine Besei­t­i­gung der Gefahren­quelle West­ufer: steile Böschung mit Bewuchs, für Kinder gefährliche Wasser­tiefe von 1,85 Metern,
  • Unzure­ichend Beschilderung und Unter­lassen der Absicherung des Teiches.

Weit­ere Infor­ma­tio­nen liefern fol­gende Schriften, die online abruf­bar sind:

Lit­er­aturhin­weise:
[1] Badestege kön­nen beson­dere Verkehrssicherungspflicht­en aus­lösen, wenn das Gewäss­er im Bere­ich des Ste­gen­des nicht über eine aus­re­ichende Sprungtiefe ver­fügt. Wenn sich durch einen Kopf­sprung ins zu seichte Wass­er ein Kind (zwölf Jahre) bzw. ein junger Erwach­sen­er ver­let­zen, haftet die Kom­mune im Fall des verunglück­ten Erwach­se­nen nicht (OLG Bran­den­burg, Urt. v. 27.08.2013 – Az. 6 U 84/12), anders jedoch – auf­grund der beson­deren Schutzbedürftigkeit und man­gel­nden Ein­sichts­fähigkeit – im Fall des verunglück­ten Kindes (OLG Bran­den­burg, Urt. v. 22.02.2006 – Az. 13 U 107/05).

[2] Das Fol­gende beruht auf: Bay­erisches Staatsmin­is­teri­um der Jus­tiz, Leit­faden: Verkehrssicherungspflicht an Badegewässern, 2021, S. 19 ff.
[3] BGH, Urt. v. 18.10.1988 – Az. VI ZR 94/88.

 


Autor: Dr. Sebas­t­ian Felz
Refer­at III b 5 – Pro­duk­t­sicher­heit, Anla­gen- und Betriebssicherheit
Bun­desmin­is­teri­um für Arbeit und Soziales (BMAS)
 
Foto: © privat
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