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Gefahren durch Asbest: Tragödie, Versäumnisse und Mahnung

Interview mit Prof. Dr. Woitowitz
Asbest: Tragödie, Versäumnisse und Mahnung

Asbest: Tragödie, Versäumnisse und Mahnung
Prof. Dr. Woitowitz im Gespräch mit Min. Dirig. a.D. Albracht Foto: Albracht
Asbest ist weltweit das Kreb­s­gift Num­mer 1. Auch in Deutsch­land verur­sacht Asbest immer noch viel zu viele Todes­fälle und men­schlich­es Leid. Über aktuelle Gefahren durch Asbest und über Missstände im BK-Anerken­nungsver­fahren befragte Sicher­heitsin­ge­nieur Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz. Das Inter­view führte MinDirig a.D., Dipl.-Chem. Gerd Albracht.

Herr Prof. Woitowitz, Sie gel­ten als ein­er der Begrün­der der mod­er­nen Arbeitsmedi­zin und haben bis zu Ihrem Ruh­e­s­tand 28 Jahre das Insti­tut und die Polik­linik für Arbeits- und Sozialmedi­zin der Jus­tus-Liebig Uni­ver­sität in Gießen geleit­et. Hat die Arbeitsmedi­zin heute noch den Stel­len­wert, die Bedeu­tung und die Unter­stützung der Bun­des- und Län­der­regierun­gen, um die Arbeit­nehmerIn­nen vor den vielfälti­gen Gefahren der sich wan­del­nden Arbeitswelt frühzeit­ig zu schützen?

Erlauben Sie mir den Rück­blick und Aus­blick aus dem ruhi­gen Studier­stübchen meines Emer­i­tus-Büros, das ich der Medi­zinis­chen Fakultät unser­er Jus­tus-Liebig Uni­ver­sität Gießen ver­danke. Öfter als heute trafen ich und Kol­le­gen in den ver­gan­genen Jahrzehn­ten sehr namhafte Spitzen­vertreter unser­er Arbeitswelt in den Arbeitsmin­is­te­rien des Bun­des und der Län­der an, die über eigene oder auch famil­iär ver­tiefte Ein­blicke in die realen Gesund­heits­ge­fahren unser­er Arbeitswelt ver­fügten. Daraus resul­tierten erfol­gre­iche und gezielte Aktiv­itäten und Schw­er­punk­t­set­zun­gen auf höch­ster sozialpoli­tis­ch­er Ebene – die ich mit­tler­weile kaum mehr erken­nen kann.

Sie haben als ein­er der Ersten vor den Gefahren durch Asbest gewarnt und mit Ihren Forschun­gen maßge­blich zur Aufk­lärung über die Krebs erzeu­gen­den Expo­si­tio­nen gewarnt. Ist es nicht ein Ver­stoß gegen das „Grun­drecht aller Men­schen auf Leben und kör­per­liche Unversehrtheit“, wenn der aus der Bis­mar­ckzeit stam­mende soge­nan­nte Voll­be­weis in Deutsch­land dazu führt, dass ins­beson­dere in Fest­stel­lungsver­fahren wegen des Ver­dachts auf durch Asbest verur­sacht­en Lun­genkrebs die Ablehnungsquoten
inzwis­chen über 80% betragen?

Sozial­rechtlich war es ursprünglich der Arbeit­sun­fall – als dem Pro­to­typ eines „Akutereigniss­es“ –, für dessen Entschädi­gung in der Bis­mar­ckzeit ein Voll­be­weis für die jew­eils schädi­gende Ein­wirkung gefordert wurde. Dage­gen ist die Prax­is, einen solchen Voll­be­weis entsprechend auch für die sich erst nach Jahrzehn­ten man­i­festieren­den Erkrankun­gen, speziell dem Beruf­skrebs – als Pro­to­typ der soge­nan­nten „Laten­zschä­den“ –, sachlo­gisch und damit sozialmedi­zinisch keines­falls zu begrün­den. Ins­beson­dere hier­mit lassen sich die inzwis­chen etwa 80% betra­gen­den Ablehnungsrat­en bei Fest­stel­lungsver­fahren wegen des begrün­de­ten Ver­dachts auf einen durch Asbest verur­sacht­en Lun­genkrebs, Nr. 4104 Anlage BKV, erre­ichen. Um diese sach­lich vol­lkom­men unakzept­able Ablehnungsrate zu senken, sollte das „Beweis­maß der Wahrschein­lichkeit“ an die Stelle des Voll­be­weis­es treten. Diese Forderung ist an den Geset­zge­ber gerichtet. Eine solche notwendi­ge Regelung sollte ins­beson­dere für jene Fallgestal­tun­gen gel­ten, in denen wed­er der Ver­sicherte noch die Hin­terbliebe­nen durch entsprechende Auskün­fte der Fir­men beziehungsweise Unternehmen sowie der Auf­sichts­di­en­ste in der Lage sind „nachzuweisen“, dass Asbest eingewirkt hat. Obwohl nation­al und/oder inter­na­tion­al aus­re­ichende Erken­nt­nisse über Asbest­ge­fährdun­gen bei typ­is­chen Arbeit­stätigkeit­en beste­hen. Übri­gens: Das Hes­sis­che Lan­dessozial­gericht hat eine Beruf­sgenossen­schaft in einem recht­skräfti­gen Urteil (Anm. d. Redak: Az: L 3 U 124/14) dazu verpflichtet, ein durch Asbest verur­sacht­es Mesothe­liom des Rip­pen­fells eines am Mesothe­liom ver­stor­be­nen Elek­trik­ers, auch ohne den grund­sät­zlich erforder­lichen juris­tis­chen Voll­be­weis als Beruf­skrankheit anzuerkennen.

Was muss getan wer­den, damit die große Ungle­ich­heit bezüglich der Anerken­nung und Entschädi­gung asbest­be­d­ingter Beruf­skrankheit­en, also die Schere zwis­chen angezeigten und entschädigten Beruf­skrankheit­en, sich nicht weit­er öffnet und die Bewe­is­führung nicht
weit­er­hin zu Las­ten der oft tod­kranken Arbeit­nehmerIn­nen geht?

Ger­ade für Weißas­best­fasern ist seit Jahrzehn­ten bekan­nt, dass sie nach der Einat­mung allmäh­lich über die Bronchien und Lym­ph­wege entsorgt wer­den kön­nen. Mit Hil­fe von kör­pereige­nen Abwehrzellen, den Alve­o­lar­makropha­gen, kön­nen sie aber auch zu soge­nan­nten „Asbestkör­perchen“ wer­den. Zum Zeit­punkt der beispiel­sweise 30 Jahre später auftre­tenden Erkrankung an Lun­genkrebs ist aber auf­grund der verkürzten Aufen­thalts­dauer solch­er Weißas­best­fasern im Lun­gengewebe kaum noch mit ihrem reich­lichen Vorhan­den­sein zu rechnen.

Beruf­sgenossen­schaftlich wird jedoch für die Anerken­nung auch ein­er durch Weißas­best verur­sacht­en Erkrankung an Lun­genkrebs in der Regel den­noch der Nach­weis von min­destens 1000 Asbestkör­perchen pro Kubikzen­time­ter Lun­gengewebe gefordert. Drin­gend erforder­lich ist daher die Unter­sa­gung, Ablehnungs­beschei­de wegen Erkrankun­gen an durch Weißas­best verur­sachtem Lun­genkrebs auf jene vorherse­hbar meist zu gerin­gen, und deshalb dann vom beruf­sgenossen­schaftlichen, soge­nan­nten „Mesothe­liom­reg­is­ter“ als neg­a­tiv bew­erteten Ergeb­nisse sein­er Asbestkör­perchen-Zäh­lun­gen zu stützen.

Kom­men die Tech­nis­chen Auf­sichts­beamten der Unfal­lver­sicherungsträger ihren Verpflich­tun­gen zur tech­nis­chen Analyse in solchen BK-Ver­fahren nach? Und die staatliche Arbeitsin­spek­tion und die Gewerbeärzte?

Was die Entschei­dungs­gremien unser­er Geset­zlichen Unfal­lver­sicherung ange­ht, ist mir bekan­nt, dass sie ein­er­seits zwar par­itätisch beset­zt sind. Den­noch beste­hen ander­er­seits nicht allein für die Tech­nis­chen Auf­sichts­beamten der Unfal­lver­sicherungsträger – son­dern selb­st für die bei den UV-Trägern jew­eils angestell­ten Pro­fes­soren und Pro­fes­sorin­nen der Medi­zin – offenkundig keines­falls die gle­ichen Freiräume als Wis­senschaftler, wie sie den von staatlich finanzierten Uni­ver­sitäten berufe­nen FachvertreternIn­nen gewährt werden.

Das ver­w­ert­bare Spek­trum der von den beruf­sgenossen­schaftlich angestell­ten, sicher­heit­stech­nisch qual­i­fizierten Auf­sichtsper­so­n­en in die jew­eili­gen Beruf­skrankheit­en-Fest­stel­lungsver­fahren einge­bracht­en Exper­tisen ist sehr bre­it. Es hat sich mir, ger­ade bei Ermit­tlun­gen zu den häu­fig Jahrzehnte zurück­liegen­den Gefährdungstatbestän­den der vor­ge­nan­nten Laten­zschä­den, erwartungs­gemäß nicht nur als wenig stan­dar­d­isiert, son­dern auch als ziem­lich unter­schiedlich erwiesen. In einzel­nen Fallgestal­tun­gen, die mir gele­gentlich als Gutachter zum Ein­blick vor­la­gen, ließ sich ein teil­weise erhe­blich­es Span­nungs­feld – mit konkreten Gefahren hin­sichtlich ein­er Weit­erbeschäf­ti­gung – nicht übersehen.

Die mir seit Jahrzehn­ten bekan­nt gewor­de­nen Mitar­beit­er unseres gewer­beärztlichen Dien­stes zeich­neten sich durch eine hier­für erforder­liche, beson­ders hohe Qual­i­fika­tion aus. Ver­traut wurde ich damit früher teil­weise als der zunächst fach­lich weit­er­bildende Arzt. Unüberse­hbar wird demge­genüber heute die Bedeu­tung der lei­der nur noch in geringer Zahl als neu­trale Ombudsper­so­n­en im gewer­beärztlichen Dienst verbliebe­nen Fachärzte/Innen sozialpoli­tisch inzwis­chen total verkannt.

Als beson­ders hil­fre­ich haben sich immer wieder die Mitar­beit­er der Staatlichen Arbeitsin­spek­tion erwiesen, ger­ade bei der Aufk­lärung lange zurück­liegen­der sicher­heit­stech­nis­ch­er Prob­leme an gefährlichen Arbeit­splätzen. Dies gilt in ganz beson­derem Maße ger­ade hin­sichtlich der so außeror­dentlich zahlre­ich strit­ti­gen Fest­stel­lungsver­fahren wegen der vor­ge­nan­nten, tod­brin­gen­den Beruf­skrankheit­en. Um daran wieder anzuknüpfen, sollte der ras­ante Stel­len­ab­bau der staatlichen Auf­sichts­beamten und der Gewer­beärzte bald­möglichst gestoppt wer­den. Beson­ders die Län­der­ar­beitsmin­is­ter sind hier gefordert, die staatliche Auf­sicht per­son­ell und qual­i­ta­tiv in ein­er Weise auszubauen, dass sie ihrer lebenser­hal­te­nen Präven­tion­sauf­gabe in der Arbeit­sumwelt wieder gerecht wer­den kann.

Wie bew­erten Sie die Dunkelz­if­fern bei asbest­be­d­ingten Beruf­serkrankun­gen und die jahrzehn­te­lange sys­tem­a­tis­che Anwen­dung völ­lig vorherse­hbar falsch neg­a­tiv­er Asbestkörperchenzählungen?

In der Wieder­auf­bauphase nach dem Zweit­en Weltkrieg bestanden an den meis­ten der entsprechen­den Arbeit­splätze Gefährdun­gen durch den Weißas­best, Chrysotil. Denn dessen Impor­tan­teil betrug bekan­ntlich nahezu 95 Prozent. Hier­aus fol­gt, dass der Pathologe bei der großen Anzahl der zuvor durch Weißas­best gefährde­ten und dadurch erkrank­ten Ver­sicherten stets das soge­nan­nte „Fahrerflucht­phänomen“, englisch „hit-and-run-phänom­e­non“, zu berück­sichti­gen gehabt hätte. Denn im Lun­gengewebe der zuvor durch Chrysoti­las­best gefährde­ten und dann Jahrzehnte später daran Ver­stor­be­nen beste­hen defin­i­tiv keine gerichts­festen Nach­weis­möglichkeit­en durch die Suche nach Chrysotil-Asbest­fasern oder solche Chrysotil­fasern enthal­tende Asbestkör­perchen. Dieses „Fahrerflucht­phänomen“ bes­timmter Krebs erzeu­gen­der Arbeitsstoffe ist kein Einzelfall. Aus der Beruf­skreb­s­forschung liegen genü­gend weit­ere Beispiele vor. Auch bei ihnen kommt es durch die Einat­mung der Krebs erzeu­gen­den Noxe hin­länglich zu den primär erforder­lichen, gen­tox­is­chen, kreb­serzeu­gen­den Effek­ten, den soge­nan­nten moleku­laren hits. Zum Todeszeit­punkt, also Jahrzehnte später, lässt sich dann auch dort nicht mehr das „Tatwerkzeug“ erneut oder immer noch am „Tatort“ auffind­en. Beispiel­haft genan­nt seien insofern etwa die Erkrankun­gen an Lun­genkrebs infolge ion­isieren­der Strahlen, oder durch polyzyk­lis­che aro­ma­tis­che Kohlen­wasser­stoffe. Das Gle­iche gilt auch für die ver­schiede­nen Erkrankun­gen an Blutkrebs nach Einat­mung von Benzol.

Eine von Ihnen ini­ti­ierte Forscher­gruppe1 hat sich aktuell grundle­gend mit der „sozialpoli­tis­chen Prob­lematik bei der medi­zinis­chen Begutach­tung tod­brin­gen­der Beruf­skrankheit­en“ auseinan­der geset­zt. Wo genau liegt die Problematik?

Die sozialpoli­tis­che Prob­lematik bei der medi­zinis­chen Begutach­tung bet­rifft keines­falls allein die durch Asbest­faser­staub arbeits­be­d­ingt gefährdete Bevölkerung mit ihren entsprechen­den Fol­gekrankheit­en. Betrof­fen sind darüber­hin­aus eben­so alle Ver­sicherten, die am Arbeit­splatz Gefährdun­gen aus­ge­set­zt waren oder sind, die sich erst Jahre später diag­nos­tizieren lassen. Es han­delt sich deshalb all­ge­mein um die seit der Bis­mar­ck-Zeit zunächst nur für den Arbeit­sun­fall einge­führten hohen Hür­den des Kausalitätsprinzips.

Die Kern­punk­te des erforder­lichen sozialpoli­tis­chen Hand­lungs­be­darfs sind aus arbeits- und sozialmedi­zinis­ch­er Sicht:

  • Die Erle­ichterung der Regeln des Bis­mar­ckschen Kausal­ität­sprinzips durch die Akzep­tanz von nicht ver­mei­d­baren Beweisnotständen.
  • Die Berück­sich­ti­gung von Amt­ser­mit­tlungs­de­fiziten als wesentliche Teil­ur­sachen für den nicht zu erbrin­gen­den Vollbeweis.
  • Im Hin­blick auf den Reformbe­darf, die Ein­rich­tung eines Beauf­tragten für tod­brin­gende Beruf­skrankheit­en des Deutschen Bundestages.

Nach dem Willen des Europa­parla­ments soll Europa bis 2028 asbest­frei sein. Es sind aber noch Mil­lio­nen Ton­nen asbesthaltiger Mate­ri­alien zu beseit­i­gen. Was muss getan wer­den, dass diejeni­gen, die Asbest­be­sei­t­i­gun­gen durch­führen, nicht zu ein­er zweit­en Welle von Asbestopfern werden?

Nationale und inter­na­tionale Experten und Exper­tin­nen der Sicher­heit­stech­nik ver­fü­gen über ein ausseror­dentlich vielfältiges sowie derzeit noch abruf­bares Fach­wis­sen hin­sichtlich der Lokali­sa­tion und Men­gen der früher, zum Beispiel in öffentlichen Gebäu­den, Zügen und zahlre­ichen anderen Ein­rich­tun­gen, ver­wen­de­ten Asbest­men­gen. Mit der Aktivierung und Weit­er­gabe dieser Erfahrun­gen und Ken­nt­nisse sollte nicht lange gewartet wer­den. Die heuti­gen, mit Wartungs- und Sanierungsar­beit­en Beschäftigten müssen sicher­heit­stech­nisch opti­mal vor dem Kreb­s­gift Num­mer 1 geschützt wer­den. Solche Tätigkeit­en dür­fen nicht zur Ursache ein­er nochma­li­gen Asbestopfer­welle wer­den. Daher müssen die Infor­ma­tions- und Train­ingsak­tiv­itäten für diese Per­so­n­en­grup­pen stark inten­siviert wer­den. Auch ich begrüsse deshalb beson­ders die europaweit anwend­baren Infor­ma­tion­s­mod­ule für ein sicheres Arbeit­en im Umgang mit Asbest bei der Wartung von Anla­gen und dem Ent­fer­nen von Asbest. Sie wur­den für die 28 EU-Län­der von der EFBWW erar­beit­et. Ausser­dem ist ein Asbe­streg­is­ter drin­gend erforder­lich, um den Kreb­s­ge­fahren nicht nur am Arbeit­splatz, son­dern auch in der benach­barten Umwelt sys­tem­a­tisch zu begeg­nen. Denn beson­ders hier­durch lassen sich Rückschlüsse auf asbest­be­lastete Gebäude und die Gefährdun­gen durch Asbesterkrankun­gen ziehen.

Was kön­nen wir aus der Asbest­tragödie lernen?

Die ver­häng­nisvollen Ver­säum­nisse beim Umgang mit Asbest, die men­schlichen Tragö­di­en sowie die Asbest­spät­fol­gen müssen auch zu ein­er kri­tis­chen Betra­ch­tung der übri­gen, weitaus mehr als 100 Kreb­sstoffe führen. Selb­st für kreb­serzeu­gende Stoffe, die in tausenden Jahre­ston­nen pro­duziert und ver­ar­beit­et wer­den, fehlen in Deutsch­land epi­demi­ol­o­gis­che Stu­di­en. Allein die jährlich weltweit 233.000 Asbest­toten und das Leid viel­er Tausend weit­er­er Asbesterkrank­ter und ihrer Fam­i­lien soll­ten ein Alarm­ruf an die Gesellschaft, die Unternehmen und ver­ant­wortlichen Bun­des- und Län­der­min­is­ter sein, um nicht nur rechtzeit­ig wis­senschaftlich fundierte Stu­di­en zu den Fol­gen der Her­stel­lung und Anwen­dung solch­er Kreb­sstoffe durchzuführen, son­dern auch entsprechende Maß­nah­men tre­f­fen zu kön­nen. Denn zu exis­ten­ziellen Bedro­hun­gen durch eine Vielzahl kreb­serzeu­gen­der Arbeitsstoffe kommt es nach wie vor, aber nicht allein bei der Pro­duk­tion, son­dern erfahrungs­gemäß beson­ders auch bei deren Anwen­dung oder Entsorgung.

Herr Prof. Woitowitz, vie­len Dank für das Gespräch.

1 Woitowitz, Heil­mann und Baur: Soziale Sicher­heit 12/2016,Sozialpolitische Prob­lematik bei der medi­zinis­chen Begutach­tung tod­brin­gen­der Krankheiten.


Prof. Dr. med. Hans-Joachim Woitowitz

Hans-Joachim Woitowitz studierte Human­medi­zin in Mar­burg, anschließend pro­movierte er in Köln zum Dr. med. Die Habil­i­ta­tion für die Fäch­er Arbeitsmedi­zin und Sozialmedi­zin erfol­gte 1971 in Erlan­gen. 1974 erhielt er den Ruf auf die Pro­fes­sur für Arbeitsmedi­zin an die Jus­tus-Liebig Uni­ver­sität Giessen. Bis zu sein­er Emer­i­tierung im Jahr 2004 leit­ete er mit großem Erfolg das Insti­tut und die Polik­linik für Arbeits- und Sozialmedizin.

Schw­er­punkt sein­er Arbeit­en wurde die Diag­nos­tik und Präven­tion von Beruf­serkrankun­gen. Dies galt vor allem den tod­brin­gen­den Tumor­erkrankun­gen durch Arbeitsstoffe. Als ein­er der ersten hat Prof. Woitowitz vor den großen Gefahren durch Asbests, ins­beson­dere das Kreb­srisiko, gewarnt. Er wurde eben­so wie fortschrit­tliche Gew­erkschafter ein­er der Väter des Asbestver­bots in Deutschland.

Für seine Ver­di­en­ste erhielt Prof. Woitowitz zahlre­iche nationale und inter­na­tionale Ehrun­gen. Als Impuls­ge­ber zur Weit­er­en­twick­lung der Arbeitsmedi­zin und als Anwalt der Beruf­skreb­spa­tien­ten erhielt er 2013 mit der Paracel­sus-Medaille die höch­ste Ausze­ich­nung der Deutschen Ärzteschaft.

Quelle: ukgm.de


Kern­punk­te des sozialpoli­tisch vor­dringlichen Handlungsbedarfs

Woitowitz, Heil­mann und Baur haben sich in „Soziale Sicher­heit 12 / 2016“ grundle­gend zur „Sozialpoli­tis­chen Prob­lematik bei der medi­zinis­chen Begutach­tung tod­brin­gen­der Krankheit­en“ auseinan­derge­set­zt und u. a. fol­gende Kern­punk­te des vor­dringlichen Hand­lungs­be­darfs an Beteiligte und an den Geset­zge­ber adressiert:

  • Sie fordern die Festschrei­bung der alleini­gen Kom­pe­tenz des Verord­nungs­ge­bers zur Vor­gabe von Dosis­gren­zw­erten bzw. weit­er­er „Abschnei­dekri­te­rien“
  • eine gewis­senhafte, pro­fes­sionell-sicher­heit­stech­nis­che Amt­ser­mit­tlung mit der Doku­men­ta­tion von Vol­lzugs­de­fiziten bei der Wahrnehmung der unternehmerischen Ermit­tlungs- und Überwachungspflichten
  • pri­or­itär unab­hängige, gegebe­nen­falls verei­digte sicher­heit­stech­nis­che Sachver­ständi­ge bei der richter­lichen Amtsermittlung.

Im Hin­blick auf den aus­führlich dargelegten Reformbe­darf fordern sie fol­gende sozial- und gesellschaft­spoli­tis­che Kon­se­quen­zen von der Bundesregierung:

  • die „Ein­rich­tung ein­er unpartei­is­chen, außerg­erichtlichen Schlich­tungsstelle für ein Ombuds­mann-Frau-Ver­fahren“ im Sinne der Staatlichen Gewerbeärzte/Innen und der Gewer­beauf­sicht sowie
  • die „Änderung des § 9 Abs. 3 SGB VII mit dem Ergeb­nis ein­er Beweis­las­tumkehr zugun­sten des Ver­sicherten und sein­er Hinterbliebenen“

Damit die „Leg­isla­tive den erforder­lichen direk­ten, eigen­ständi­gen Ein­blick in die Recht­sprax­is der Recht­san­wen­der vor dem Hin­ter­grund des Artikels 2 Abs. 2 GG erhält sowie im Hin­blick auf den drin­gen­den Reformbe­darf und die Tat­sache tausend­fach­er Beruf­skrebs-Erkrankun­gen jährlich schla­gen die Autoren die „Ein­rich­tung eines Beauf­tragten für tod­brin­gende Beruf­skrankheit­en des Deutschen Bun­destages“ vor.

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